Er galt als der letzte Romantiker der klassischen Musikszene und wusste wie kaum ein Zweiter seiner Zeit die Kritiker zu spalten. In diesem Jahr wäre der Pianist, Komponist und Dirigent Sergej Rachmaninow 140 Jahre alt geworden, vor 70 Jahren starb der Künstler, der auf vielfältige Weise mit der Stadt Dresden verbunden war. Nur einige Winter seines Lebens verbrachte Rachmaninow in Dresden. Doch die reichten, um sich im Gedächtnis der Stadt zu verewigen und selbst sein Herz zu verlieren. Rachmaninow und die Elbmetropole – eine Liebesgeschichte mit tragischem Ausgang.
Am 1. April 1873 als viertes von sechs Kindern auf dem elterlichen Landgut Semjonowo nahe der russischen Kleinstadt Staraja Russa geboren, wird bereits früh das enorme Talent des kleinen Serjoscha offenbar. Alsbald trennen sich die Eltern, und so fördert ihn vor allem die Mutter nach Kräften. Doch erst die Lehrjahre bei Nikolai Swerew in Moskau lassen den Künstler und Komponisten reifen, der es verstand, seine große Sensibilität in ebensolche Werke zu übersetzen. In Swerews Künstlerpension, von Rachmaninow einst als „musikalisches Paradies“ geadelt, entstehen Kontakte zu Größen der russischen Musikszene wie Pjotr Tschaikowski und Sergej Tanejew.
Als Rachmaninow im November 1906 nach Dresden kommt, hat er auf dem internationalen Parkett gerade mit seinem Klavierkonzert Nr. 2 für Aufsehen gesorgt. In Russland jedoch ist sein Stern am Sinken. Er leidet unter der Häme der Kritiker und stürzt in eine tiefe Lebenskrise.
Mit seiner Cousine Natalia Satina, die ihn auffängt und unterstützt und die er 1902 heiratet, und der dreijährigen Tochter Irina bezieht er ein Haus in der Sidonienstraße, einer Querstraße der Prager Straße, die damals noch ihr historisches Gesicht trägt. Vermutlich über Franz Koppel-Ellfeld, dem damaligen Intendanten des in der Semperoper beheimateten Dresdner Hoftheaters, der es zuvor bewohnt hatte, mietet der Komponist ein Haus im hinteren Teil des Grundstückes Nummer 6, unweit des Hauptbahnhofes. Denkbar günstig für die Künstlerfamilie, die in ständigem Reisen begriffen ist und so schnell zum Bahnhof, aber auch zur Semperoper gelangen kann.
Im beschaulichen Dresden kommt der Virtuose zur Ruhe, sucht in anfänglicher Zurückgezogenheit Kraft:
„Wir leben hier still und bescheiden […] wir sehen keinen und kennen niemanden. Und auch selbst lassen wir uns nirgends sehen und wollen auch niemanden kennenlernen. Alle Russen, scheint es, leben jenseits der Grenze. […] Die Stadt selbst gefällt mir sehr: sehr sauber, sympathisch und viel Grün in den Gärten. […]“
schreibt er kurz nach seiner Ankunft 1906 an einen Freund in der Heimat.
Die junge Familie wird der Barockmetropole zwei weitere Winter treu bleiben. Die 1907 geborene Tochter Tatjana macht ihre ersten Schritte an der Elbe. Vater Sergej erwirbt währenddessen zwei weitere Immobilien in Dresden. Das Bürgerhaus Trachenberger Straße 23 erstrahlt heute in neuem Glanz, erst mit der Wende 1990 verschwindet ein gewisser Eigentümer Sergej Rachmaninow mit Wohnsitz New York aus den Grundbüchern. Die Villa Fürstenstraße 28 in der heutigen Fetscherstraße hingegen verbrennt ebenso wie der Familiensitz in der Sidonienstraße beim Bombenangriff am 13. Februar 1945.
Langsam wird der Künstler in Dresden heimisch. Er erkundet seine barocken Schönheiten, besucht die Generalproben in der Semperoper und ist fasziniert von der Vielfalt des kulturellen Lebens in der Stadt. Auch künstlerisch ist Dresden ein fruchtbares Pflaster. Zahlreiche neue Werke entstehen, darunter die Zweite Sinfonie e-moll op.27, die Erste Sonate für Klavier d-moll op.28 sowie die sinfonische Dichtung „Die Toteninsel“ op. 29 nach einem Gemälde Arnold Böcklins.
„Leider können wir heute nicht mehr sagen, wann genau er den Flügel erwarb oder was er kostete, da alle Dokumente und Unterlagen im Bombenangriff 1945 verloren gingen“, erklärt Rönisch-Geschäftsführer Frank Kattein. Die Manufaktur im Dresdner Wallgässchen, in der Rachmaninows Flügel entstand, wird am 13. Februar 1945 ein Raub der Flammen, seither produziert Rönisch in Großpösna bei Leipzig. Noch heute ist man hier auf den berühmten Kunden stolz. Reste des alten Fabrikgebäudes im Wallgässchen sind bis heute erhalten und beherbergen unter anderem das Museum Körnigreich zu Ehren des Künstlers Hans Körnig.
Im Frühjahr 1909 findet die unbeschwerte Zeit in Dresden zunächst ein Ende. Seiner Frau Natalia hat Rachmaninow versprochen, nie länger als drei Jahre im Ausland zu leben. Er hält Wort, obgleich er die Stadt ins Herz geschlossen hat. Wie schwer ihm der Abschied aus Dresden fällt, offenbart er in einem Brief in die Heimat:
„Wie schön ist es hier in Dresden, Sergej Iwanowitsch! Und wenn Sie wüssten, wie traurig ich bin, dass ich hier den letzten Winter verbringe!“,
schreibt er im März kurz vor seinem Abschied an seinen Freund und früheren Lehrer Sergej Tanejew. Doch es ist kein Abschied von Dauer. Konzerttourneen führen ihn schon bald wieder an die Elbe. Am 2. Dezember 1910 und am 15. März 1912 gibt er umjubelte Gastspiele in der Semperoper.
In den Goldenen Zwanzigern gastiert er wieder regelmäßig mit seiner Familie in der Barockmetropole. Überliefert sind seine Aufenthalte in der Villa Fliederhof in der Emser Allee 5 (heute Goetheallee 26), einem bekannten Künstlertreff der Familie Schuncke. Hier feiert auch Sergejs Tochter Irina ihre Hochzeit mit dem Fürsten Pjotr Wolkonskij, mit dem sie am 24. September 1924 feierlich in der russisch-orthodoxen Kirche des Heiligen Simeon vom wunderbaren Berge in der Südvorstadt getraut worden war, die bis heute fortbesteht. Porträts der Dresdner Fotografin Ursula Richter, die in Blasewitz eine „Werkstätte für Lichtbildkunst“ betreibt, dokumentieren Treffen mit Sergej Zharow, der einst die Don-Kosaken-Chöre weltberühmt machte.
Viele Jahrzehnte später – zwei Weltkriege nahezu unversehrt überstanden – wird auch die Villa Fliederhof ein Raub der Flammen: Bei einem Brand infolge einer Familientragödie, bei der zwei Menschen ums Leben kommen, wird sie 1979 völlig zerstört. Bis heute erinnert eine Tafel an das Haus und seinen berühmten Gast.
Mit der Machtergreifung der Nazis 1933 findet Sergej Rachmaninows enge Beziehung zu Dresden ein jähes Ende. Ausländische Künstler werden bis auf wenige Ausnahmen von den Bühnen verbannt. Mit dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 verschärft sich die Lage weiter: Russische Interpreten werden nun gar nicht mehr gespielt.
Das Leben Sergej Wassiljewitsch Rachmaninows endet am 28. März 1943 mit der gleichen Dramatik, die ihn Zeit Lebens begleitete und sich auch in vielen seiner Werke widerspiegelt. Viel zu früh, mit nur 69 Jahren, stirbt der Komponist vier Tage vor seinem 70. Geburtstag in New York an Krebs. Sein inniger Wunsch, in der Heimat bestattet zu werden, bleibt ihm aufgrund des in Russland tobenden Krieges verwehrt. Seine letzte Ruhe findet er auf dem Kensico-Friedhof bei New York.
Dieser Beitrag ist die leicht modifizierte Fassung eines Artikels, der am 17. Juni 2013 auf dem Dresden-Portal Dresden-Kompakt erschien. Alle Rechte: Jane Jannke