Vor der US-Präsidentschaftswahl: Warum ich mir Sorgen mache.

In nicht mal einer Woche wählt Amerika einen neuen Präsidenten. Selten, ja vielleicht nie zuvor, stand dabei so viel auf dem Spiel. Es ist nicht weniger als die Zukunft der Welt, die da verhandelt wird, das sieht sicher nicht nur Barak Obama so. Ob die Amerikaner sich dessen bewusst sind? Man darf es mehrheitlich bezweifeln, weil der Mensch grundsätzlich ungern in globalen Dimensionen denkt – zu anstrengend, zu fordernd. Vor der US-Präsidentschaftswahl: Warum ich mir Sorgen mache. weiterlesen

Neujahrsgrüße an Serjoschenka – Krankenakten sowjetischer Soldaten in Kasernenruine aufgetaucht.

Sie lagen einfach da, mitten in einem kahlen, mit Müll und Tierkot verschmutzen Raum in einem vor sich hinrottenden, seit 20 Jahren leer stehenden ehemaligen Kasernengebäude in Königsbrück. Erst traute ich meinen Augen kaum. Schon eine gute halbe Stunde war ich in dem bis 1993 von der Sowjetarmee genutzten Gebäude herumgestiegen, um Fotos zu machen und nach Spuren und Hinterlassenschaften zu suchen, die es wert waren, dokumentiert zu werden. Gefunden hatte ich neben einigen alten Zeitungen bis dato nichts Weltbewegendes. Und fast hätte ich sie übersehen, wenn da nicht die Akuratesse eines säuberlich aufgeschichteten Häufchens Papier gewesen wäre, das mitten im Raum auf dem Fußboden lag und sich irgendwie abhob vom chaotischen Rest aus Büchsen, zerfledderten Tapeten und Glassplittern. Fast sah es aus, als hätte gerade erst jemand den Stapel dort hingelegt – und dann vergessen, ihn wieder mitzunehmen.

Mehrseitige Krankenakte eines sowjetischen Soldaten. Format: DIN A4. Zeit: Februar 1991.
Mehrseitige Krankenakte eines sowjetischen Soldaten. Format: DIN A4. Zeit: Februar 1991.
Mehrseitige Krankenakte eines sowjetischen Soldaten. Format: DIN A4. Zeit: Februar 1991.
Mehrseitige Krankenakte eines sowjetischen Soldaten. Format: DIN A4. Zeit: Februar 1991.

Als ich näher ging, um nachzusehen, um was es sich handelte, traute ich meinen Augen kaum. Vor mir lag ein Stapel von mehr als einem Dutzend Krankenakten ehemals hier stationierter sowjetischer Soldaten, einige „Medizinskaja Knijkas“ – vergleichbar mit dem SV-Ausweis der DDR – sowie eine Ansichtskarte.
Die Akten stammten ausschießlich von jungen Wehrpflichtigen, die zwischen 1990 und 1992 im 44. Panzerregiment „Suche Bator“ dienten. Darin: ausführliche Dokumentationen von Krankengeschichten, von den persönlichen Daten wie Namen, Geburtsdatum, Heimatanschrift, Dienstgrad, Einheit und Zeitpunkt der Einberufung über den Zeitpunkt und den Grund der Einlieferung ins Lazarett bis hin zu Form und Dauer der Behandlung, samt Fieberkurven und Vermerken über Operationen, und Zeitpunkt der Entlassung. Jeder, der des Russischen mächtig ist, konnte sich 20 Jahre nach der hoffentlich glücklichen Heimkehr der jungen Patienten in ihre Heimat über deren Leidensweg im Königsbrücker Lazarett belesen, das sich sehr wahrscheinlich einst in jenem Gebäude befunden hat. Laut Akten ging das zweifelhafte Abenteuer Lazarett trotz bisweilen ernsthafter Erkrankungen für diese Patienten glimpflich aus, sie alle wurden als „gesund“ in ihre Einheiten entlassen, nach bis zu dreiwöchigen Klinikaufenthalten. Wohl kaum einer von ihnen dürfte geahnt haben, dass intimste Details seiner Krankengeschichte jahrelang für jedermann frei zugänglich in einem Abrisshaus in Deutschland vor sich hinmodern würden.

"Medizinskaja" Knijka" von A. M. Mischin von 1990.
"Medizinskaja" Knijka" von A. M. Mischin von 1990.
"Medizinskaja Knijka" mit Röntgenaufnahmen von W. Nigmatow - 1987.
"Medizinskaja Knijka" mit Röntgenaufnahmen von W. Nigmatow - 1987.

Die Medizinskaja Knijkas wiederum datieren teilweise zurück bis ins Jahr 1987. Offensichtlich wurde damals für jeden Soldaten ein solches kleines Heftchen angelegt und penibel geführt. Zwar gab es industriell gefertigte Standardausführungen dieser Hefte, jedoch wurden sie augenscheinlich auch mangels Vorrätigkeit provisorisch per Hand angelegt. In Tapete eingeschlagen und mit Papier aus einem Schreibblock zusammengeschustert, wurden die maschinellen Vordrucke einfach per Hand nachgearbeitet. Wahrscheinlich ist, dass diese Hefte in einer Art Kartei zentral im Lazarett gelagert wurden, die Soldaten sie also nicht bei sich trugen. In diesen kleinen Heftchen wurden die persönlichen Daten des Soldaten sowie sämtliche Untersuchungen und Arztbesuche, aber auch medizinische Behandlungen, so sie denn nötig wurden, vermerkt.
Daraus geht unter anderem hervor, dass auch in der Sowjetarmee jeder Wehrpflichtige in turnusmäßigen Abständen Gesundheitschecks unterzogen wurde – vom Zahn- über den Augenarzt bis hin zum Internisten und zum Psychologen. auch regelmäßige Röntgenaufnahmen des Torax waren an der Tagesordnung – die Aufnahmen liegen in den meisten Fällen den Heftchen nach wie vor bei, fein säuberlich in einem kleinen, handgefertigten Umschlag verwahrt, der in das Heft geklebt wurde. Und so dürfte sich der ehemalige Soldat A. Mischin vermutlich sehr wundern, wenn er wüsste, dass irgendwo im beschaulichen Dresden gerade eine junge Frau die Innenansicht seines Brustkorbes studiert.

Etwas aus dem Rahmen schlägt die Ansichtskarte, die ganz oben auf dem Haufen lag. Mit bunten Bildchen wollten da Vera, Nadjezhda und Ljubow aus dem südrussischen Tuapse im Januar 1992 Sergej M. zum Neuen Jahr beglückwünschen, der ebenfalls in Einheit Nr. 34998 in Königsbrück diente. Erreichte sie ihn jemals? Und wenn ja, warum ließ er sie mit einem Stapel Krankenakten zurück? Wer war Sergej M.? Arbeitete er im Lazarett? War er ein Patient? Fragen über Fragen…

Neujahrsgrüße für Serjoschenka - Januar 1992.
Neujahrsgrüße für Serjoschenka - Januar 1992.
Neujahrsgrüße für Serjoschenka - Januar 1992.
Neujahrsgrüße für Serjoschenka - Januar 1992.

Fragen stellen sich überhaupt jede Menge. Wie konnte es sein, dass medizinische Akten, zumal aus dem militärischen Hochsicherheitsbereich, die eigentlich besonderen Schutzmechanismen unterliegen müssten, einfach in einem verlassenen Haus zurückgelassen wurden? Wenn man weiß, wie penibel noch heute Dokumente und Akten aus der Zeit der Besatzung im russischen Militärarchiv von Podolsk gehütet werden, wie schwer es für Historiker oder Journalisten ist, an solches Material zu gelangen, staunt man umso mehr über solch einen Fund: War es bloße Nachlässigkeit in den Wirren eines überstürzten Abzuges? Hielt man diese Dokumente tatsächlich für unwichtig und somit vernachlässigbar? Oder steckt doch mehr dahinter? Warum ausgerechnet DIESE Akten? Es besteht anscheinend weder eine alphabetische Sortierung noch eine nach Diagnosen. Allenfalls der Zeitraum (alle lagen zwischen Anfang Februar und Mitte März 1991 im Lazarett) bietet eine Gemeinsamkeit.
Für die Forschung ist ihr Auffinden allemal einer von mittlerweile selten gewordenen Glücksmomenten. Alle Dokumente wurden gesichert und befinden sich in meiner Obhut.

Über Fachkräftemangel und Politikverdrossenheit.

Zwei Themen begegnen uns dieser Tage immer wieder im öffentlichen Diskurs: Fachkräftemangel gerade auf naturwissenschaftlich-technischem Gebiet: Die Hochtechnologie muss ihr Spitzenpersonal zunehmend im Ausland rekrutieren, sowie die viel bejammerte Politikverdrossenheit, die sich vor allem in stetig sinkenden Wahlbeteiligungen und schon fast hilflos anmutendem Wechselwählerverhalten vieler Bürger äußert.

Meiner Ansicht nach haben diese beiden Phänomene eine Ursache in ein und demselben Problem: unser Bildungssystem und das, was die Herrschenden in diesem Land unter „Investition in Bildung“ verstehen.
Fakt ist: Wir haben heute ein Schulsystem, das sich hauptsächlich als Betreuungs- und Lehranstalt begreift, nicht jedoch als Erziehungs- und Bildungseinrichtung. Das heißt: Es wird zwar gelehrt und betreut, doch es wird kaum noch erzogen. Und Bildung würde weit mehr beinhalten als pures Eintrichtern von Grundlagenwissen in Deutsch, Mathe und Chemie. Bildung bezeichnet die Schnittstelle zwischen Qualifizierung für eine berufliche Ausbildung und Erziehung: Sie sollte nicht weniger umfassen als die Heranbildung von verantwortungsvollen, selbstbewussten und gesellschaftsfähigen BÜRGERN – und genau an denen fehlt es zunehmend, sowohl im gesellschaftspolitischen Raum als auch auf dem Arbeitsmarkt. Das äußert sich dann unter anderem darin, dass Schulabgänger zunehmend keine Ahnung von den Grundlagen (sowohl den geografischen als auch den historischen und politischen) ihres Heimatlandes haben, dass Verantwortungsbewusstsein und Pflichtgefühl immer weiter in die Bedeutungslosigkeit gedrängt werden, dass zunächst erst einmal nachgeholfen werden muss, um einen jungen Menschen überhaupt fit für die Arbeitswelt zu bekommen.

Rückblick.
Ich weiß, einige werden jetzt mit den Augen rollen – dennoch: Als in der DDR aufgewachsener Mensch habe ich erlebt, wie es anders geht. In der DDR wurden bereits die Kinder in Schulen und sogar im Kindergarten in Gestalt von Kollektivbildung, Gruppenaktivitäten, (im Prinzip kostenfreiem) außerschulischem Freizeitangebot (AGs in Technik, Handwerk, Chemie, Biologie, Sprachen, Kunst, Musik usw.) und innerschulischer Aufgabenzuweisung dazu ermuntert, Verantwortung zu übernehmen und sich vor allem schon als (wenn auch kleiner) Bürger ihres Landes zu fühlen. Es wurden Talente und Begabungen entdeckt und vor allem gefördert.
Das System der Gruppenräte strukturierte die Schulklassen, honorierte besonders engagiertes, freundliches, hilfsbereites Verhalten und gute schulische Leistungen. Es wurden auch Listen über sogenannte „Timur-Aktivitäten“ geführt, das bedeutete, dass es einen Wettstreit unter den Schülern dahingehend gab, wer die meisten „guten Taten“ vollbrachte: Einkaufen für ältere Leute, Altpapier sammeln, anderen bei den Hausaufgaben helfen, Spenden sammeln usw. Kurzum: ein System, das belohnte, wer sich engagierte und anderen half. Davon profitierten zuletzt nicht nur diejenigen, die in Führungspositionen gewählt wurden, sondern auch jene, die von Haus aus benachteiligt und/oder leistungsschwach waren. Der Gruppenrat, bestehend aus Vorsitzendem, seinem Stellvertreter, dem Schriftführer, dem „Agitator“ bzw. Wandzeitungsredakteur sowie dem Kassierer, organisierte zudem den gesamten Ablauf des schulischen Alltages, er arbeitete mit älteren Schülern und den Lehrern zusammen und repräsentierte ihnen gegenüber die Mehrheitsmeinung der Klasse zu bestimmten Problemen, Themen und Fragen, gab Informationen weiter, organisierte die Gestaltung von Wandzeitungen und Aushängen, hielt Vorträge vor den Schülern über aktuelle politische und gesellschaftliche Ereignisse (das war in der 2. und 3. Klasse unter anderem mein Job ;-)), verteilte Aufgaben wie Milch-, Essen-, Pflanzen-, Ordnungs- oder Waschraumdienst an die Mitglieder des Klassenkollektives. Die Schüler kümmerten sich also um beinahe alles selbst.
Nicht zuletzt das demokratische Abstimmverfahren zur Gruppenratswahl, die jährlich stattfand – welch ein hervorragendes politisches Trainingselement! Wenn die Wahlen auf Landesebene nur halb so demokratisch verlaufen wären…
Ich konnte ab Ende 1989 miterleben, wie dieses System der organisierten, reflektierten und zu persönlicher Verantwortungsübernahme fähigen Schülerschaft mit der Wende geradezu implodierte und die früheren Träger von kollektiver Verantwortung zunehmend zu „Klassenfeinden“ mutierten.

Entsprechend sieht es heute in den meisten Schulen aus. Verantwortungsbewusstsein, Bildungshunger und Engagement werden oft mit Strebertum gleichgesetzt und vom Rest der Klasse, der sich durch Derartiges zurückgesetzt fühlt, mit Ausgrenzung oder Mobbing bestraft – und der Lehrer schaut zu. Jeder macht sein eigenes Ding. Die Kinder finden sich in lockeren Gruppen zu ihresgleichen zusammen – und zwar nach Kriterien, die meist von Äußerlichkeiten, geselligen und materiellen Motiven geprägt sind. In den Hauptschulen gelten Gymnasiasten oft als „arrogante Abgehobene“ – höhere Bildung als Feindbild. Das Trainieren von gesellschaftlichen Abläufen oder Verantwortungsübernahme gerade auch für das Klassenkollektiv – Fehlanzeige. Heute leben wir zwar in einer realen Demokratie, doch dafür weiß keiner unserer jungen 10- bis 15-jährigen „Demokraten“, was Demokratie eigentlich bedeutet. Ich als kleiner Diktatur-Bürger kannte die Grundbedeutung betreffs Entscheidungsfindung bereits mit 8, zumindest auf das kleine Kollektiv meiner Schulklasse bezogen, herrschte dort wahre Demokratie, arbeitsteilig und mehrheitsgebunden.

Wer hindert uns daran, diese Tradition an heutigen Schulen wiederzubeleben? Natürlich darf nicht vergessen werden, dass das damals in der DDR alles zweckgerichtet zur Absicherung einer Diktatur geschah – und in so eine Richtung dürfte das natürlich nicht gehen. Aber was hindert uns daran, die absolut vorhandenen positiven Aspekte dieses Systems kindlicher Integration in die Gesellschaft und vor allem frühzeitiger Persönlichkeits- und Charaterbildung in UNSEREM Sinne zu gestalten? Ein Kind, das nicht rechtzeitig Gelegenheit erhält, sich mit Politik, Staat, Medien oder Chemie und Technik zu befassen, wird dies später nur selten von sich aus entdecken. Nie wieder in unserem Leben werden wir so begeisterungsfähig sein wie im Kindesalter!

Deutschland gibt sich stattdessen weiterhin mit staatlichen Betreuungseinrichtungen und der untragbaren Abschiebepraktik vermeintlich bildungsunfähiger Kinder auf Sonder- und Hauptschulen zufrieden. Welch eine Verschwendung von Potenzial. Ich sage: Wir müssen wieder mehr Mut zur Erziehung und zu echter Bildung an den Schulen haben! Dinge, die Elternhäuser ohnehin aufgrund der verschärften Konkurrenzsituation in der Arbeitswelt zunehmend weniger leisten können. Ein Kind, das von vorn herein in der Schule in Aufgabenpläne und Gemeinschaften eingegliedert wird, entwickelt eben jene soziale und verantwortliche Kompetenz, die den jungen Menschen heute zunehmend fehlen. Ein Kind, das so aufwächst, entwickelt auch ein ganz anderes Verhältnis zur Gemeinschaft und auch zur Bildung. Haupt- und Sonderschulen als Paria-Auffangstätten könnten wir uns so wahrscheinlich sparen.

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Nachtrag:

Und wie zur Bestätigung präsentiert sich heute mein eigenes Bildungsinstitut – die FernUniversität in Hagen – als Bremsklotz und Hort chaotischer Bürokratie, statt als fortschrittliche Qualifizierungseinrichtung mit der Maßgabe, Fachpersonal möglichst barrierefrei heranzubilden. Soeben hat mir mein Tutor die offizielle Stellung meines Semesterarbeitsthemas, an dem ich bereits seit Wochen gearbeitet habe und das ich vor knapp einer Woche bei ihm eingereicht hatte, verweigert. Grund: Als Teilzeitstudentin müsse er für mich beim Prüfungsamt 6 Wochen Bearbeitungszeit veranschlagen, der letzte mögliche Abgabetermin ist allerdings der 30. September, der letzte Tag des Semesters. Ich hätte das Expose also 10 Tage zu spät eingereicht, und nun seien ihm die Hände gebunden. Ich müsse die Arbeit im nächsten Semester nachreichen. So seien die „klaren und allgemeingültigen Regeln“.
Das Problem ist nur: Nichts ist an der FernUNI Hagen „klar“ und „allgemeingültig“. Konnte ich noch im letzten Jahr (ich berichtete auf art und wIEse) meine Semester-Hausarbeit innerhalb von nur 31/2 Wochen vor dem letztmöglichen Abgabetermin und völlig ohne Expose und offizielle Themenstellung einsenden, ohne dass es irgendein Problem gab, ich nicht zur Prüfung zugelassen oder die Arbeit nicht gewertet worden wäre, ist dies nun in diesem Jahr auf einmal nicht mehr möglich. Natürlich OHNE dass der Student über die Homepage der Uni oder per email über die neuen Regelungen informiert worden wäre. In den offiziellen Informationen zur Hausarbeit der Fakultät Kultur- und Sozialwissenschaften hieß es lediglich lapidar:

Um die Themenstellung für die Hausarbeit zu vereinbaren, sollten Sie frühzeitig Kontakt mit dem Kursbetreuer aufnehmen. (Denken Sie daran, dass die Hausarbeit spätestens am letzten Tag des Semesters, also am 31. März im WS bzw. am 30. September im SS eingereicht bzw. abgeschickt werden muss.)

Kein Wort von einer Maximalfrist zur Einreichung eines Exposes oder dahingehend, was genau man unter „frühzeitig“ versteht. Wenn man bedenkt, dass ich die Arbeit im letzten Jahr in 3 Wochen erstellt hatte, dann war meine Kontaktaufnahme mit dem Tutor in diesem Jahr 5 Wochen vor dem Abgabetermin tatsächlich frühzeitig.
Im Resultat steht: Ich habe in den vergangenen Wochen Urlaub genommen, auf Dienste und somit auf Einnahmen verzichtet, Termine verschoben und mich in Bibliotheken verbarrikadiert – um jetzt höflich aber bestimmt gesagt zu bekommen, dass ich die Arbeit erst im nächsten Semester vor Weihnachten einreichen kann. Da kann einem die Lust am Studieren wahrlich vergehen.

Veranstaltungstipp aus aktuellem Anlass:

Am kommenden Montag wird Bundestagspräsident Norbert Lammert zum Thema: „Die Bundeswehr als Parlamentsarmee“ im Militärhistorischen Museum referieren. Prof. Dr. Lammert ist studierter Politikwissenschaftler und Historiker.

Gerade im momentan wieder brandaktuellen Zusammenhang des Afghanistan-Einsatzes beabsichtigt Lammert, das Verhältnis der beiden staatstragenden Organe zueinander zu erläutern. Seine tragende Rolle im jüngsten Bundestagsskandal im Rahmen der Abstimmung zur Verlängerung des Afghanistan-Mandats um die Gedenkaktion der Linksfraktion dürfte ein besonders interessantes Licht auf diesen Vortrag werfen.

Wann: 8. März 2010, 19 Uhr
Wo: Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, Olbrichtplatz 2, 01099 Dresden
Eintritt: frei

Benz vs. Broder – oder: Vernunft schlägt Fanatismus vernichtend.

In den vergangenen ersten Tagen des neuen Jahres war in den führenden Gazetten des Landes (hier: Süddeutsche Zeitung und Die Welt) ein interessantes, wenngleich thematisch mehr als durchgelegenes, Streitgespräch zweier Männer zu verfolgen, das in der Art, wie es geführt wurde, beträchtliche Niveauunterschiede aufwies. Zurückzuführen ist dies vermutlich auf den Umstand, dass die Protagonisten unterschiedlicher sowohl in der Wahl ihrer Methoden als auch ihres Vokabulars nicht hätten sein können.

Da wäre zunächst Wolfgang Benz, Historiker und Politikwissenschaftler, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen wie etwa den „Dachauer Heften“; bekannt für seine sachliche, wissenschaftlich fundierte Argumentations- und Herangehensweise.
Wolfgang Benz ist u.a. Verfasser politikwissenschaftlicher Lehrschriften und daher, am Rande bemerkt, einer meiner großen Mentoren, auch wenn ich seine Standpunkte nicht immer teile.

Am 4. Januar erschien nun in der Süddeutschen Zeitung ein Essay des Historikers zum Thema „Antisemiten und Islamfeinde – Hetzer mit Parallelen“. Die Sächsische Zeitung druckte diesen Essay übrigens vergangenen Mittwoch in der Rubrik „Perspektiven“ ab. Benz stellt in seinem Aufsatz dem im islamischen Kulturkreis verbreiteten „Feindbild Westen“ das in westlichen Breiten sich verstärkt formierende „Feindbild Islam“ gegenüber. Am Beispiel der Verfestigung des Antisemitismus Ende des 19. JH erläutert er das Entstehen und das Wesen von Feindbildern, deren innerer Mechanismus immer auf Verallgemeinerung und Reduktion auf negative Charakteristika fuße und deren Motor die Hysterie sei (Vergl. auch Le Bon, Psychologie des Foules, 1895).
Benz beklagt die wachsende Feindseligkeit gegenüber dem Islam (nicht etwa gegenüber realen einzelnen Fanatikern) in Deutschland, die seiner Ansicht nach an die gesellschaftliche Stigmatisierung der Juden in Deutschland zu Zeiten Heinrich von Treitschkes erinnert:

Heinrich von Treitschke (1834 – 1896), renommierter deutscher Historiker und populärer Publizist, sah einst in seiner Überfremdungsangst Deutschland von Feinden umringt und durch mangelnde Bereitschaft der jüdischen Minderheit zur Assimilation im Inneren bedroht. […] ‚Aus der unerschöpflichen polnischen Wiege‘, behauptete der Gelehrte, dränge ‚eine Schar strebsamer, Hosen verkaufender Jünglinge herein, deren Kinder und Kindeskinder dereinst Deutschlands Börsen und Zeitungen beherrschen‘ würden. […] Die Parallele ist unübersehbar, wenn als taktische Waffe im geargwöhnten Kampf um die „Islamisierung Europas“ heute das Wochenbett der muslimischen Frau beschworen wird. Treitschkes Angriffe gegen das deutsche Judentum markierten die Aufkündigung des mühsam erkämpften liberalen Konsenses über die Integration.

Als Beipiel für die anscheinend gesellschaftsfähig gewordene Islamophobie nennt Wolfgang Benz den Aktionismus einschlägiger Internetseiten sowie deren Frontreiter, die sich durchaus auch in den gängigen Presseorganen zu Wort melden und ohne Scheu in der Bevölkerung die Angst vor dem Islam schüren. Wenn in einschlägigen Publikationen der Islam mit einer Naturkatastrophe gleichgestellt wird, vor der man berechtigterweise Angst haben sollte, dann ist die Grenze zur Satire, zur berechtigten Kritik und selbst zur Polemik bei Weitem überschritten.

Der Autor des genannten Vergleichs ist kein Geringerer als Henryk M. Broder, Publizist, selbsternannter Islamkritiker und Berufspolemiker (womit der Schärfe seiner Zunge noch schmeichelnd Rechnung getragen wäre). Womit wir zum zweiten Protagonisten des neuesten Antisemitismus-Streits kämen, denn Broders Antwort auf Benz‘ Essay folgte prompt am 13. Januar in der „Welt“ – zu lesen auch in der Sächsischen Zeitung von heute.
In seinem polemischen Kontrapunkt umgeht Broder gekonnt die eigentliche Problematik der verschleierten Überfremdungs-Doktrin, die der Islamophobie zugrunde liegt, in dem er das Wort buchstäblich wörtlich nimmt: Islamophobie meine „Angst vor Islamisten“ – und die ist ja, wie Broder immer wieder betont, völlig berechtigt. Benz‘ durch und durch logisch aufgebaute Feindbild-These deutet Broder folgendermaßen um:

Praktisch läuft der Vergleich – ausgesprochen oder insinuiert – darauf hinaus, dass die Muslime die Juden von heute sind und die sogenannte Islamophobie „strukturell“ dem Antisemitismus verwandt ist. Was auch nicht ganz falsch ist, wenn man bedenkt, dass ein Nilpferd mit einem Menschen einiges gemeinsam hat: Es isst, schläft, verdaut und pflanzt sich heterosexuell fort.

Nichts dergleichen lese ich aus Benz‘ Aufsatz heraus. Benz ging es um die Erklärung eines aktuellen Phänomens am Beispiel artverwandter Erscheinungen, was vielleicht auch eine stumme Mahnung in den Raum stellen soll, diesen Kreislauf aus Diskriminierung und pauschaler gesellschaftlicher Stigmatisierung rechtzeitig zu unterbrechen, weil die Geschichte uns einst zeigte, wohin Derartiges schlimmstenfalls führen kann.
Broder, als einer der feurigsten Frontreiter der islamophoben Strömung in diesem Land, kann sich hierdurch freilich nur auf seinen antiislamischen Schlips getreten fühlen, verständlich also sein überschäumender Zorn auf Benz:

Wenn man den Jargon der akademischen Wichtigtuerei auf seinen Kern reduziert, enthält dieser Absatz zwei Aussagen. Erstens: Nicht der real existierende Islam soll kritisch betrachtet werden, sondern das „Feindbild Islam“, offenbar ein Phantomgebilde, das nur in der Fantasie der Islamkritiker existiert. […] Professor Benz‘ besondere Qualifikation, die ihn zu paradigmatischen Übungen befähigt, ist seine Ahnungslosigkeit. Er hat vom Judentum keine Ahnung, er hat vom Antisemitismus keine Ahnung, und vom Islam hat er auch keine Ahnung. Dafür versteht er was von einem Paradigmenwechsel, den er mit seiner Arbeit befördert.

Henryk M. Broder ist bekannt für seine verbalen Ausfälle, die potenziell jeden treffen können, der in irgendeiner Weise durch öffentliche Stellungnahmen zu den erprobten Reizthemen Broders Ärger auf sich zieht. Und er ist bekannt für seine scharfen verbalen Angriffe gegen den Islam (vergl. auch Broders „Hurra, wir kapitulieren, von der Lust am Einknicken“) sowie seine eher fraternisierende Haltung gegenüber der israelischen Palästina-Politik. Das war nicht immer so. Broders schleichende Hinwendung zum Radikalen begann etwa mit dem 11. September 2001, der für ihn seither den Inbegriff des „teuflischen Islam“ markiert.
Und genau an diesem Punkte schreit es doch förmlich nach einem von Vernunft und Differenzierung getragenen Einwurf der Marke Wolfgang Benz, der auf die eklatante und schlicht unzulässige Verallgemeinerung von einigen wenigen Urhebern (deren Identität noch nicht einmal vollumfänglich geklärt ist und deren Motive mit Sicherheit anderswo zu suchen wären, als im Koran) auf „den Islam“ und damit potenziell alle seine Anhänger hinwies, die einer solchen Denkweise zugrunde liegt.
Es geht nicht darum, dass man den Islam nicht fundierter Kritik unterziehen soll, wie Broder meint, sondern darum, es differenziert und punktuell zu tun, statt diese Religion als „Geißel der Menschheit“ darzustellen, der eine grundsätzliche, nicht durch menschliche Einwirkung behebbare Bösartigkeit innewohne und die man daher erbittert bekämpfen müsse.
Reform ist unmittelbar an Aufklärung und Akzeptanz gekoppelt. Welchen Anreiz, seinen Islam-Begriff an moderne Lebens- und Weltbilder anzulehnen, hat ein Moslem hierzulande, der sich von dieser modernen Gesellschaft ausgegrenzt und rundweg abgelehnt fühlt?

Update: Vortrag zum Internationalen Strafgerichtshof

Der oben genannte und bereits in einer früheren Version des Artikels vorgestellte Vortrag zum Internationalen Strafgerichtshof im Militärhistorischen Museum Dresden ließ mich gestern insgesamt positiv beeindruckt und dennoch etwas zwiegespalten zurück.

Zum einen mag Dr. Hans-Peter Kaul ein sehr guter Richter und Völkerrechtler sein (was er zweifellos unter Beweis stellte), als Dozent und Redner ist er aber einigermaßen anstrengend. Es kostete große Teile des Publikums (darunter erstaunlicherweise zahlreiche junge Leute) sichtlich Mühe, über knapp 2 Stunden den roten Faden zu behalten und Enthusiasmus zu wahren.
Aber das nur als Randnotiz.

Die Organisation des Abends fand ich ausgesprochen gelungen. Inmitten der imposanten, bisweilen unheimlichen Kulisse aus Stukas und Riesen-Sprengbomben (man verzeihe mir hier meine Dilettanz) waren Podium und Auditorium aufgebaut, ein üppiges Bankett mit Häppchen und Getränken konnte jeder gratis nutzen, die Veranstaltung bis auf den letzten Platz ausgebucht.

Angesichts des hochdekorierten Gastes wimmelte es von Presse und ebenso hochdekorierten Militärs und Wissenschaftlern, die anschließend das etwas langatmige Referat in der Diskussionsrunde ordentlich aufwerteten. Als überzeugte Pazifistin fremdelte ich anfangs schon ein wenig angesichts der Überflutung mit allerlei ausgestelltem Kriegsmaterial und zahlreich versammelten Uniformierten.

Inhaltlich war viel Wissenswertes über die Entstehungsgeschichte, Wirkungsweise und Rechtsgrundlage des Internationalen Strafgerichtshofes zu erfahren, ebenso über aktuell verhandelte Fälle und Fahndungsbefehle.
So bildeten die Nürnberger Prozesse 1945/46 eine wesentliche ideelle Grundlage der individuellen Verantwortlichkeit von Staaten und Gruppierungen für politisch motivierte Verbrechen von außerordentlicher Schwere.

Die interantionale Strafgerichtsbarkeit ist vollumfänglich dem jeweiligen nationalstaatlichen Recht untergeordnet und besitzt kein Initiativrecht. Erst, wenn per Beschluss des UN-Sicherheitsrates festgestellt wurde, dass ein Staat aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage ist, gegen die Verbrechen im eigenen Lande vorzugehen, kann der IStGH auch über die UNO beauftragt werden, aktiv zu werden. Ansonsten können dies nur die jeweiligen Länder selbst, Organisationen oder Einzelpersonen – auch aus Drittländern – tun. Auch ich kann also, so ich über ausreichend belastende Informationen verfüge, eine Klage gegen ein Land, eine Gruppe/Institution oder Person vor dem IStGH einreichen.
Staaten wie die USA oder Saudi-Arabien verweigern sich bis heute, den Gründungsvertrag von Rom zu unterzeichnen und dem IStGH damit die Anerkennung, andere unterzeichneten ihn, ratifizierten ihn aber bis heute nicht (u.a. Israel, China, Russland, Indien, Prakisten, Iran).

Finanziert wird der IStGH übrigens zu 13% vom deutschen Steuerzahler – ich (wie auch jeder andere Bürger) zahle per anno 15 Cent.

Etwas indifferent blieb Herr Kaul allerdings hinsichtlich der wirklichen interessanten Fragen zu Tatbeständen, Verdachtsfällen und möglichen Anklagen gegen den einen oder anderen Staat oder Personen. Fragen in diese Richtung wies seine Exzellenz gleich zu Beginn der Diskussionsrunde mit Verweis auf seine persönliche Befangenheit oder sein Richteramt von sich.

Dabei brannte wohl dem einen oder anderen die Frage auf der Seele, warum beispielsweise nie Anklage gegen George W. Bush wegen des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen den Irak und der dabei zahlreich verübten und großteils von „oben“ angeordneten Kriegsverbrechen erhoben wurde, oder gegen den Staat Israel wegen der seit Jahrzehnten begangenen Menschenrechtsverletzungen und der schleichenden Vertreibung der Palästinenser.
Es laufen momentan praktisch ausschließlich Verhandlungen und Verfahren gegen afrikanische Kriegsverbrecher, etwa gegen Rebellenführer aus Uganda, dem Kongo und auch Ruanda (Darfur).
Interessant ist gerade das vor dem Hintergrund, dass es so etwas wie eine Amnestie für ranghohe politische Persönlichkeiten vor dem IStGH offiziell nicht gibt.

Die reservierte Haltung des Dozenten zu diesen hochinteressanten Fragen enttäuschte dann doch etwas.

Veröffentlichung meiner Semesterarbeit

Wie bereits in vorangehenden Einträgen erwähnt, habe ich vom 28.07.-21.08.2009 meine Semesterarbeit im Fachbereich „Demokratie und Regieren im Vergleich“ geschrieben.

Nun ist das Ergebnis eingetrudelt, und da im Vorfeld bereits Interesse bestand, Einblick in die Arbeit zu erhalten, habe ich mich entschlossen, sie hier zu veröffentlichen.

Das Leitthema der Arbeit lautete: „Systemtransformation“,
das selbst gestellte, dem Leitthema untergeordnete Forschungsthema:
„Über die Bedeutung von Säkularisierungsprozessen in Politik und Gesellschaft für die Etablierung und Konsolidierung von Demokratie am Beispiel einer vergleichenden Analyse Israels und des Libanon“

Die Arbeit wurde mit der ECTS-Note „very good“ benotet (ECTS-Notensystem: „excellent“, „very good“, „good“, „satisfactory“, „sufficient“, „fail“).

Die Stärken lagen laut Kommentar in der Begründung von Forschungsfrage und -design, der Recherche sowie der Ländervorstellung, die Schwächen lagen wie erwartet in der mangelnden Klarheit der methodischen Linie sowie der nicht ausreichend erfolgten Abgrenzung der angenommenen Ursache „mangelhafte Säkularisierung“ von möglichen anderen Ursachen für die Instabilität der Systeme.

Einleitung

Das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit wird in der Frage nach der Bedeutsamkeit von Säkularisierungsprozessen innerhalb von Staat und Gesellschaft für die erfolgreiche Konsolidierung demokratischer Regime begründet liegen. Zur zielgerichteten Erforschung des Sachverhaltes soll hier als Hypothese die Ausgangsvermutung geäußert werden, dass die Chancen eines Systems, erfolgreich eine gesunde Demokratie auszubilden sowie diese zu konsolidieren im selben Maße gering sind, wie es nicht gelingt, System und Gesellschaft umfassend zu säkularisieren. Der soeben formulierten Frage soll im Folgenden anhand eines Vergleichs der politischen und gesellschaftlichen Systeme Israels und des Libanon nachgegangen werden, was methodisch auf der Basis eines most-different-cases-design erfolgen wird. Die Wahl des Forschungsdesigns fußt auf der Annahme, dass es sich bei den benannten Staaten um kulturell, politisch und wirtschaftlich sehr unterschiedliche Einheiten handelt. Es wird des Weiteren angenomen, dass in beiden Ländern demokratische Systeme Bestand haben, die jedoch weder defektfrei noch stabil sind, was durch einen Mangel an systeminterner und gesellschaftlicher Säkularisierung maßgeblich mitverursacht wird. Um die Frage nach dem Zusammenhang von Säkularisierung und Demokratisierung bzw. Konsolidierung beantworten zu können, wird es zunächst erforderlich sein, die beiden „Probanden“ auf den tatsächlichen Zustand ihres jeweiligen demokratischen Systems sowie den Grad der religiösen Durchdringung von Gesellschaft und Staat hin zu untersuchen. Außerdem soll Einblick in die durch religiöse (konfessionelle) Aspekte ausgelösten bzw. begünstigten innergesellschaftlichen Konfliktlagen beider Länder gewährt werden, um so Aufschluss über deren destabilisierende bzw. eine erfolgreiche Konsolidierung des demokratischen Systems verhindernde Wirkung zu erlangen.

1 Unterscheidung Demokratie und defekte Demokratie

1.1 Demokratie

Nach der Typologie politischer Systeme von Wolfgang Merkel zeichnen sich Demokratien durch die Offenheit des Herrschaftszuganges, eine pluralistische Herrschaftsstruktur, begrenzten Herrschaftsanspruch, eine an rechtsstaatlichen Grundsätzen orientierte Herrschaftsausübung sowie Herrschaftslegitimation auf Basis der Volkssouveränität aus.1 Sein Theoriemodell der „embedded democracy“ begreift Demokratie als System wechselseitig abhängiger Teilregime (interne Einbettung von Wahlregime, politischen Partizipationsrechten, Freiheits- und Bürgerrechten, Gewaltenkontrolle und Effektiver Regierungsgewalt), das des Weiteren eine Umwelt aus ermöglichenden Bedingungen benötigt (externe Einbettung in den sozioökonomischen Kontext, die Zivilgesellschaft sowie internationale und regionale Integration).2

1.2 Defekte Demokratie

In Abgrenzung zur „gesunden“ bzw. stabilen Demokratie sind bei defekten Demokratien nach Merkel/Puhle Teilregime der embedded democracy so beschädigt oder eingeschränkt, dass der rechtsstaatliche Charakter teilweise verloren geht. So sind beispielsweise bei exklusiven Demokratien Teile der Bürgerschaft in ihren Freiheits- oder Partizipationsrechten beschränkt. In illiberalen Demokratien werden wiederum die garantierten Freiheits- und Bürgerrechte durch die Regierenden verletzt, sodass die rechtsstaatliche Dimension nicht mehr gegeben ist.