Es ist ein gottverlassener Ort. Irgendwo im dicht bewaldeten Niemandsland zwischen dem kleinen Dorf Rodacherbrunn im südöstlichsten Zipfel Thüringens und der 2000-Seelen-Gemeinde Nordhalben in Oberfranken steht an einer neu ausgebauten Straße ein großes Metallschild. Es erinnert an den Fall der innerdeutschen Grenze, die einst an dieser Stelle das Land zerteilte, am 18. November 1989, 6 Uhr. Ein Parkplatz, davor führt ein Wanderweg in den Wald, zurück in Richtung Rodacherbrunn. Er verläuft weitgehend parallel zur L1095, keine 500 Meter von der Straße entfernt.
Aus Richtung Rodacherbrunn kommend, parke ich Vitek auf dem Parkplatz am

Gedenkschild und nehme rechts ab den Weg in den Wald. Nach einiger Zeit macht er einen 90-Grad-Knick nach Norden in Richtung Rodacherbrunn. Bis heute kann ich nicht genau sagen, was eigentlich los war. Aber kurz nach diesem Knick erfasste mich damals mit einem Male eine namenlose, kalte Angst. Und das, obwohl der Wald ansonsten mein Freund ist, ich hin und wieder durchaus auch allein durch Waldgebiete streife und es grundsätzlich genieße. Doch an diesem Tag, in diesem Wald, auf diesem Weg kann ich nach etwa 800 Metern, die ich in Richtung Rodacherbrunn gelaufen war, nicht mehr weiter. Der Schnee, den ich gerade noch bewundert hatte, die hohen Bäume, der Weg vor mir – all das schien mit einem Male abweisend, feindselig, bedrohlich. Auch wegen erwähnter gesundheitlicher Probleme kehre ich vorsichtshalber um. Damals war für mich sonnenklar, dass es nur damit zusammenhängen konnte. Vielleicht war der gute Kilometer, den ich gelaufen war, einfach schon zu viel gewesen, nachdem ich zuvor monatelang mehr oder weniger außer Gefecht gewesen, der Körper komplett unten war. Wahrscheinlich war es auch so.
Was ich damals nicht wusste: Ich lief auf diesem Weg fast direkt auf den damals noch unbekannten Ort zu, an dem ein halbes Jahr später die sterblichen Überreste Peggys endlich gefunden wurden. Etwa einen Kilometer weiter, und ich wäre quasi daran vorbeigelaufen. Sobald ich umgekehrt war, ging es mir spürbar besser. Eine solche Situation habe ich seither auch nie wieder erlebt.
Wie viele Wanderer und Skiläufer sind seit Peggys Tod an dieser Stelle vorbeigelaufen? Ahnungslos? Lachend? Wie oft schlugen in diesen Jahren vielleicht Spaziergänger unweit von Peggys trostlosem Grab die Picknickdecke auf? Man geht nun mit einem anderen Gefühl durch den Wald. Nicht mit Angst, aber mit Respekt und nachdenklicher. Sie bergen viele Geheimnisse, unsere Wälder. Deshalb werden sie wohl auch so oft von Menschen aufgesucht, die ein Geheimnis bewahren wollen. Häufig leider ein finsteres.