Aus einer wolfslosen Zeit.

Gestern herrschte große Aufregung in unserem Dresdner Städtchen (so nennen wir unsere Kasernen) – die erste große Übung des Jahres! Die Schlange der LKW, die uns abholten, war so lang, dass sogar die breite Straße vor der Kaserne, die Fischer-Allee heißt, stundenlang gesperrt werden musste. Wird die Deutschen geärgert haben, weil das hier oben die Hauptverbindung zur Autobahn ist. Naja, neu war das nicht. Wir kennen das schon aus dem letzten Jahr. Dafür konnten unsere Grünschnäbel vor lauter Aufregung nachts kaum schlafen. Obwohl das wahrscheinlich auch Korsakows Sonderbehandlung zu verdanken war: Zwei der „balkenlosen“ ließ er die ganze Nacht Wache stehen – zur Vorbereitung, wie er sagt.  Fünf andere mussten unsere Stiefel, Kragen und Koppel auf Hochglanz bringen. Am Morgen hatten sie blaue Ringe unter den blutunterlaufenen Augen, und Korsakow kassierte auch noch ihre Marschverpflegung ein – zur Abhärtung, wie er sagt. Mir tun sie leid, obwohl ich das auch alles durchhabe. Aus einer wolfslosen Zeit. weiterlesen

Verkannte Jäger.

IMG_7346Irgendwann, vermutlich im Morgengrauen, war er da, hat seine dicken, grauen Pfoten mit den scharfen Krallen daran in den feuchten Sand gesetzt. Eine nach der anderen, immer in den Abdruck der vorderen. Tau oder Reif haben den Abdruck festgebacken. Wie eine Schnur zieht sich die Fährte durch den Heidesand. Wo genau ich sie am letzten Sonntag fand, werde ich hier aus Sicherheitsgründen nicht bekannt geben. Für seine Sicherheit. Denn Isegrim zählt zu den verkanntesten und meistgescholtensten Raubtieren unseres Landes. Und das meist völlig zu Unrecht.

Es war die erste Wolfsfährte, die ich im Einzugsgebiet der Königsbrücker Heide fand. Dass es hier wieder ein Wolfsrudel gibt, ist bereits seit 2011 bekannt. Auch Nachwuchs hat es schon gegeben, wie Fotofallen der Wolfsregion Lausitz belegen. Es ist eine stille Rückkehr gewesen. Eines Tieres, das seit über 250 Jahren in Sachsen als ausgerottet galt. Ein Denkmal an der B97 erinnert noch heute an die Tötung des vermeintlich letzten lebenden Wolfes im Jahr 1740.

IMG_7350In Anbetracht dessen, dass ich bereits seit über einem Jahr zielgerichtet Ausschau nach Zeugnissen der Anwesenheit dieser edlen, scheuen Tiere in unseren Breiten hielt, ein erhebender Moment. Ganz deutlich zeichneten sich die vier Zehen mit den langen Krallen daran und der Fußballen ab. Vermutlich war er nicht mal allein, denn Wölfe haben die Angewohnheit, im Rudel immer hinter dem Vordermann zu laufen, dessen Pfotenstapfen benutzend, sodass Verfolger manchmal meinen, es sei nur ein Tier, dessen Spur sie aufnehmen.

IMG_7348Längst nicht jedem geht beim Anblick einer Wolfsfährte derart das Herz auf. Die Angst vorm bösen grauen Wolf zählt zu den Urängsten der Menschheit. Ihre Wurzeln hat sie in den alten Mythen und Mären des Mittelalters, als der Mensch seinen Siedlungsbereich immer weiter in die Wälder ausdehnte und dort mit dem stillen Räuber in Konflikt geriet. Seither gilt der Wolf als Todfeind des Menschen, der Schafe und Rinder reißt und dem Menschen existenziellen Schaden zufügt. Dabei war er es, der stets um seine Existenz kämpfte – und in immer mehr Regionen Europas diesen Kampf verlor. Zunächst.

Seine Rückkehr nach Deutschland hat vielerorts Hysterie und Aktionismus ausgelöst. Der Wolf sei eine Gefahr, hieß es unverzüglich, er schädige die Landwirte und bedrohe die öffentliche Sicherheit. Geschossene Tiere wurden gefunden, obgleich die Jagd auf sie in Sachsen streng verboten ist, denn Isegrim steht auf einer Liste vom Aussterben bedrohter Tierarten. Warum dieser Hass auf diese wunderschönen, intelligenten und geschmeidigen Jäger? Wo immer sie können, gehen sie dem Menschen aus dem Weg. Das Königsbrücker Rudel hat sie tief ins Innere des mehr als 70 Quadratkilometer großen ehemaligen Truppenübungsplatzgeländes zurückgezogen. Und selbst wenn es einmal passiert, dass sie mangels ausreichender Reviergröße in menschliches Territorium eindringen und Nutztiere reißen: Der Freistaat Sachsen entschädigt die Landwirte für jedes einzelne Tier. Und was noch viel wichtiger ist: Er fördert Schutzmaßnahmen, um Weiden und Stallungen wolfssicher zu machen, quasi zu 100 Prozent. Es liegt also letztlich in der Hand eines jeden Landwirtes, für die Sicherheit seiner Tiere maximal Sorge zu tragen.

Warum sollte der Wolf den Umstand menschlicher Arroganz und Ignoranz gegenüber dem Existenzrecht anderer Lebewesen mit dem Leben bezahlen müssen? Ich möchte ihm nicht allein in den Weiten eines Heidewaldes begegnen. Dazu habe ich zu viel Respekt. Aber ich werde die Spuren seiner Anwesenheit immer mit Freude im Herzen registrieren. Je mehr wir ihn achten, umso mehr wird er dasselbe für uns tun. Das ist ein Naturgesetz.