Ob Wowka weiß, wo er sich da reinmanövriert hat? In den letzten Monaten hat Russlands Präsident Wladimir Putin Nägel mit Köpfen gemacht. Den Kampf um die Ukraine hatte er gegen die EU verloren, die Umfragewerte seiner Partei bröckelten und so wirklich beliebt war der Vater der russischen Marktwirtschaft nie im Volk. Doch dann haute der, der sich so gern nackt reitend oder mit hübschen Frauen in der Presse porträtiert sieht, den entscheidenden Satz raus: „Der Zusammenbruch der Sowjetunion war die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts.“ Was Putin auch gesagt haben soll, aber von westlichen Medien meist vernachlässigt wird: Man solle möglichst viel davon wieder aufbauen. Damit traf der Präsident einen Nerv im Volk, den er eigentlich lange Zeit mühsam und gegen seine eigene Überzeugung abgeklemmt hatte: Die weit verbreitete Sowjetnostalgie durfte viele Jahre nicht zu hoch kochen, denn das hätte die florierenden wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Westen womöglich gefährdet, mit denen Putin in den letzten 20 Jahren nach dem Kollaps des sowjetischen Planwirtschaftssystems die russische Wirtschaft sanierte und seine neue Mittelschicht aus der Taufe hob.
Jener Ausspruch jedenfalls löste einen Erdrutsch im Lande aus, der das Volk mit einem Schlag zu großen Teilen hinter seinen eigentlich verhassten – da als zu prowestlich verschrieenen – Präsidenten brachte. Endlich haute er mal auf den Tisch! Die Ukraine, dieses undankbare, seit 20 Jahren abspenstige Kind, wurde endlich gebührlich gemaßregelt, mit der Inaussichtstellung von „Novorossija“ – dem Neurussland – stehen endlich mal wieder Landgewinne auf dem Fünfjahresplan, und mit dem ständigen kritischen Rumgebohre in der eigenen Vergangenheit ist nun auch endlich Schluss. Im Gegenteil: Tscheka und KGB erleben ein nie geahntes Revival als heldenhafte Schutzpatronen des Vaterlandes und Väterchen Stalin – den Wowkas Opa einst bekochte – darf das Büßergewand nun offiziell ablegen. Und das Volk – es seufzt erleichtert auf: Endlich Schluss mit der nationalen Lethargie! Endlich gelten die alten Helden wieder was! Dass in Russland ein Kapitalismus herrscht, der selbst die Wirtschaftssysteme in den USA und in Europa wie ein laues Lüftchen aussehen lässt, dass weite Teile der Wirtschaft vollkommen abhängig von der Kooperation mit dem so verhassten Westen sind, dass der Computer, mit dem man den lieben langen Tag lang antiwestliche Propaganda ins westlichen Thinktanks entsprungene Internet hackt, aus amerikanischer und europäischer Produktion stammt, ebenso wie das Autor vor der Tür, das Mobiltelefon, die Kreditkarte und sogar das Leuchten aus der Lampe – darüber sieht man dann schon mal getrost hinweg. Was sind elektrisches Licht und Skype gegen die Wiedergeburt der national-bolschewistischen Identität eines geschundenen Weltreiches?
Nun, so beliebt Wowka nun endlich beim Volke ist, so schwer lastet die Bürde des Erwartungsdrucks auf ihm. Um die nationale Hysterie der Massen (–> vergleiche dazu auch Gustave LeBons „Psychologie der Massen“, die schon Adolf Hitler inspirierte) Köcheln zu halten braucht es immer neuen Lockstoff, damit die Flamme der nationalen Erneuerung nicht ausgeht. Wie gut er die geschürt hat, zeigte sich nun letzte Woche. Da erreichte ihn im Kreml ein Ruf. Ob man die südrussische Stadt Wolgograd nicht wieder in Stalingrad rückbenennen sollte, schlug unter anderem Vizeministerpräsident Dmitri Rogozhin vor. Natürlich nicht zu Ehren des GröSoFaz – des Größten sowjetischen Führeres aller Zeiten!! Sondern zu Ehren der Bürger der Stadt. Ach sooo… die freuen sich bestimmt. Besonders die Waisen, deren Eltern in Stalins Folterknästen umkamen… und genau deshalb kam der Vorschlag auch nicht von Bürgern oder Politikern der Stadt, sondern von Veteranenverbänden (die derzeit massiven Zulauf erhalten) und eben von (dritt-)höchster Stelle. Dmitri Rogozhin war übrigens in den 80er-Jahren Kommandeur des 40. Gardepanzerregiments, das in Königsbrück bei Dresden disloziert war, und brachte es in den 90ern auch zum Chef der 11. Gardepanzerdivision (Dresden).
Der Vorschlag, ausgerechnet jenen Namen, der 1925 in einem Akt des Größenwahns des GröSoFaz den ursprünglichen Namen Zarizyn (nach dem dort in die Wolga mündenden Fluss Zariza) ablöste, wiedereinzuführen, überrascht niemanden, der abgehärtet genug von den Entwicklungen der letzten Zeit ist. Er scheint vielmehr als logische Konsequenz. Der große militärische Sieg im Großen Vaterländischen Krieg 1945 strahlte fast 50 Jahre lang in sämtliche Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens in der Sowjetunion. Doch mit dem Zusammenbruch des Systems 1991 sollte all das plötzlich nichts mehr wert sein – für viele Russen eine ungeheuerliche Demütigung, die nicht hinnehmbar war. Und nun die Wende! Nun gilt all das wieder was. Und die schrittweise Rehabilitierung eines der größten Massenmörder der letzten 1000 Jahre würde mit der Revitalisierung des Symbols seiner Macht und Herrlichkeit eine ultimative Krönung erfahren. Krönung deshalb, weil Wolgograd bereits seit dem letzten Jahr an einschlägigen Gedenktagen, wie etwa dem zum Gedenken für die Befreiung der Stadt im Februar 1943, wieder zu „Stalingrad“ wird.
Nu, Wowka, was kommt denn aber nach „Stalingrad“? Die Ausrufung der Einheitspartei? Die Verankerung des Putinismus in der Verfassung? Mal sehen wie lange die Taktik aufgeht und das Volk nicht stutzig wird, weil du doch seit Neuestem lieber Benz und Porsche fährst statt GAZ und ZIL, während du gleichzeitig den Westen als „Satansland“ verteufelst, in dem ein homosexuelles Paar einer kinderreichen Familie gleichgestellt sei. Aber vielleicht stehen deine Chancen gar nicht so schlecht, denn du arbeitest ja mit Hochdruck daran, die Schicht der Klugen und Intelligenten aus dem Land zu jagen. Wer braucht schon Leute, die des kritischen und selbständigen Denkens fähig sind? Die machen doch nur Ärger, stellen unbequeme Fragen. Heil den simpel Gestrickten und den Proleten. Die sind für dumpfe, leicht verständliche und durch ständige Wiederholung gut auswendig zu lernende Phrasen immer zu haben.