Und je länger man sich mit dieser vielmals nur als eine finstere Zeit der Unfreiheit, der Scham und der Ohnmacht empfundenen, 50 Jahre währenden Epoche auseinandersetzt, desto mehr staunt man darüber, wie sie zunehmend an Finsternis verliert, im Lichte wiederkehrender Erinnerung. Es sind da eben nicht mehr nur die diffusen Wahrnehmungen „der Russen“ als restriktive Ordnungsmacht, sondern die Ordnungsmacht bekommt Gesichter, Namen, die irgendwann wieder aus den Tiefen des Gedächtnisses auftauchen, bis hin zu einzelnen Worten, einem Lächeln, einem Geschenk, die man längst vergessen hatte. Wo vor Jahren noch ein Loch klaffte, eine verstörende Lücke in der eigenen Biografie, die entstand, als nach der Wende alles das, was zuvor war, mit Schamhaftigkeit, Schwäche und Rückständigkeit assoziiert wurde, findet die Vergangenheit endlich einen würdigen Platz – in der Erinnerung, und auch im täglichen Tun und Streben, ohne dass sie dabei den Ton angäbe.
Es nützt nichts, die Vergangenheit ausblenden, sie vergessen zu wollen, nur weil sie schwere Zeiten parat hielt. Die Zeiten waren für die vielen jungen Soldaten, die heute auf dem Nordflügel des Garnisonfriedhofes begraben liegen, keinesfalls weniger schwer als für uns. Diese Erkenntnis erfordert Überwindung, aber sie ist notwendig. Sie gibt den Menschen jenes Stück Würde zurück, das ihnen damals genommen wurde. Auch sie waren nicht frei. Wie wir.
Dresden, deine Sowjetarmisten. Es wäre ein Neuanfang in der Dresdner Gedenkkultur. Einen ersten Schritt dahin wagt der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge mit seiner Gedenkveranstaltung, die am 23. Februar bereits zum zweiten Mal stattfand.
Und so bewegte es alle Anwesenden besonders, als der 89-jährige Viktor Maximow, der selbst noch als Offizier im Zweiten Weltkrieg gegen die Deutschen kämpfte und später in einem Buch beschrieb, wie das anfängliche Gefühl des Hasses immer mehr dem Wunsch nach Versöhnung und Vergebung wich, spontan das Wort ergriff und dem anwesenden Kommandeur der Offizierschule der Bundeswehr, Brigadegeneral Jürgen Weigt, für sein Engagement für den Erhalt des Nordflügels dankte.
Der 23. Februar – ein Tag, an dem auf dem Sowjetischen Garnisonfriedhof viele Jahrzehnte lang der Gründung der Roten Armee im Jahr 1918 gedacht wurde. Nun wollen wir diese Tradition keinesfalls fortführen.
Nichts stiftet wiederum mehr Identifikation als das Übertragen persönlicher Verantwortung. Verantwortung beispielsweise für den Erhalt wichtiger Zeitdokumente, die über jene Tage Zeugnis ablegen. Und deshalb ist der 23. Februar für den Volksbund und damit den Freundeskreis Sowjetischer Garnisonfriedhof auch klar mit dem Auftrag an Politik und Gesellschaft verknüpft, sich ihrer Verantwortung für die folgenden Generationen bewusst zu werden und auch die Zeitzeugnisse der Besatzungsjahre nicht wirtschaftlichen Planspielen zu opfern. Damit auch in vielen Jahren noch Angehörige der Toten einen Ort zum Trauern und die Dresdner einen Ort haben, an dem sie sich erinnern oder Geschichte hautnah erleben können. In seiner Gedenkrede hätte es der sächsische Volksbund-Landesvize Holger Hase besser nicht auf den Punkt bringen können als mit dem berühmten Zitat Charles de Gaulles: „Die Kultur eines Volkes erkennt man an seinem Umgang mit den Toten.“
Fotos 3-6: Jane Jannke