Liebe Anhänger von Pegida, liebe Mitbürger!
Dies soll kein Affront, sondern ein Aufruf zur Annäherung sein. Denn genau das sind Sie für viele in diesem Land noch immer – Mitbürger. Obwohl wir Sie und Ihr Denken nicht verstehen, Ihre Standpunkte nicht teilen und so manchen davon auch ganz einfach nicht fassen können. Wenn Pegida etwas gelungen ist, dann genau dieses Zusammengehörigkeitsgefühl ganz normaler deutscher Bürger, das im Herbst 1989 mit Blut, Schweiß und Tränen erkämpft worden war, schwerstens zu beschädigen. Mit seiner wortgewaltig propagierten Kultur des „Wir“ oder „Die“, der institutionalisierten Kompromisslosigkeit, der Intoleranz gegenüber Andersdenkenden und -aussehenden hat diese Bewegung einen Keil mitten durch unser Land getrieben und ein Klima des permanenten Misstrauens und der permanenten Hysterie geschaffen. Ein Klima, in dem schon Jugendliche ausländische Mitbürger bespucken, verprügeln oder Schwangere zusammentreten. Und natürlich schläft auch die andere Seite nicht, die, gegen die Pegida (und davor andere) vor allem Stimmung macht: die Muslime in unserem Land. Wer Intoleranz und Hass sät, wird von der Zielgruppe ebensolches ernten. Dies ist ein Naturgesetz. Und wir müssen uns nicht wundern, wenn Muslime immer häufiger den Weg in die Radikalisierung suchen, je stärker und offensichtlicher wir ihnen Verachtung entgegenbringen. Wollen wir wirklich so miteinander leben? In einem Zustand permanenter Anspannung? Des sich gegenseitig Belauerns? Der Intrigen? Des Misstrauens und Hasses? Wo vermeintliche „Nazis“ beim Arbeitgeber angeschwärzt werden und Flüchtlingshelfer, Politiker oder Journalisten samt Adresse und Autokennzeichen auf „schwarzen Listen“ landen, bedroht oder direkt angegriffen werden? Wo Asylbewerberheime brennen und Sharia-Milizen durch Städte patrouillieren? Wie hoch soll der Preis denn sein, den man für das Obsiegen der eigenen Überzeugungen bereit ist, zu zahlen?
Ich sage: Schluss damit! WIR ALLE sind „das Volk“! Nicht ihr, nicht wir, wir alle – 82 Millionen Menschen! Also lasst uns wieder nüchtern werden! Schlaft euren revolutionären Vollrausch, aus, werft die Fahnen und Brandsätze weg und schärft die Sinne! Lasst uns endlich wieder eine Einheit bilden. Multikulti ist eine Herausforderung. Und nicht immer und überall wird diese Hürde problemlos gemeistert werden. Aber wir müssen uns begreiflich machen, dass wir in unserer hochmodernen, schon allein durch das Internet globalisierten Welt nicht verhindern können, dass andere Kulturen ein Teil unserer Gesellschaft werden. Wer das fordert, hat unsere Welt nicht verstanden und bedient plumpe Kulturchauvinismen. Wer entrüstet „Multikulti ist gescheitert!“ schreit, lässt fast immer die Alternative missen. Wer keine Flüchtlinge oder Zuwanderung will, fordert im Grunde nichts anderes als eine radikale Abschottungspolitik eines Landes, das derzeit vielfältig global vernetzt und eingebunden ist und dieser Tatsache auch zu einem guten Teil seinen Wohlstand verdankt. Was Isolation zu Zeiten der Globalisierung bedeutet, sieht man derzeit am Beispiel Russlands – eine Wirtschaft auf Talfahrt, eine Währung im totalen Verfall begriffen, eine galoppierende Inflation (Teuerung) und eine Armutsrate, die sich in zwei Jahren fast um 50 Prozent erhöht hat. Soll so die Zukunft aussehen, die Sie für Deutschland wollen – um den eher ideellen (vermeintlichen) Segen völkisch-abendländischer Exklusivität willen?
Fakt 1: Die deutsche Nation wird ohne Zuwanderung untergehen
Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe! Der Zuwanderer selbst kann sich nicht integrieren und wird es auch mit wachsendem Maße gar nicht wollen, wenn man es ihm unnötig schwer macht oder ihm gar offen feindselig entgegentritt. Er wird – wie jeder von uns – das Spiegelbild unserer Gesellschaft sein. Niemand von Ihnen würde auf einen derart abwehrenden Empfang hin offen und zugewandt reagieren. Ein gut integrierter und ausgebildeter Zuwanderer hingegen ist für unsere Gesellschaft ein Gewinn. Wie sehr wir in Zukunft auf solche Menschen angewiesen sein werden, wenn unser Sozialsystem weiterhin funktionieren soll, lässt sich für viele heute noch gar nicht ermessen. Was wird in 30, 40 Jahren sein? Wenn viele von Ihnen, die heute bei Pegida mitlaufen oder sie unterstützen, alt und auf Pflege angewiesen sein werden? Wer wird Ihre Rente zahlen? All diese Probleme wischen Sie heute noch mit der reflexartigen Unterstellung weg, dass die aus dem Ausland zu uns kommenden Menschen ja mehrheitlich gar nicht arbeitswillig oder aber so schrecklich ungebildet seien, dass sie sich schwerlich zum Steuerzahler eigneten. Doch Sie machen sich dabei etwas vor. Solche Pauschalismen dienen lediglich dem Bemänteln tief sitzender völkischer Ressentiments. Sie sind Ausdruck einer gewissen Hilflosigkeit, eines Nichtwahrhabenwollens von tiefgreifenden Veränderungen, vor denen unsere Welt zwangsläufig aufgrund der technologischen und demografischen Entwicklung steht.
Feindbilder haben den angenehmen Effekt, dass sie zunächst in einem Gefühl der Bedrängnis verbindend und identitätsstiftend wirken. Aber sie haben auch den ausgesprochen unschönen Effekt, dass sie langfristig häufig wie eine selbsterfüllende Prophezeiung wirken: Sage einem Muslim tausendmal, dass er ein nicht integrierbarer blutrünstiger Gotteskrieger ist und lege ihm auf dem Weg zur Integration so viele Balken wie nur möglich in den Weg, sodass er möglichst keine Ausbildung, keinen Job und keinen Anschluss an die Mehrheitsgesellschaft bekommt – und er wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwann aus dieser Gesellschaft zurückziehen, sich auf seine Wurzeln besinnen und sich in seinen Glauben flüchten. Denn woraus soll er sonst Wertschätzung schöpfen? Wer bei Pegida mitläuft muss sich eines ganz klarmachen: Schlimmstenfalls helfen Sie direkt mit, radikale Muslime und damit potenzielle Attentäter zu produzieren und gefährden dadurch unmittelbar die öffentliche Sicherheit in unserem Land. So wie die Nazis mit ihrem Antisemitismus und Ariertum Angehörige betroffener Volksgruppen in den Widerstand trieben und zu Attentätern werden ließen, tut es auch Pegida mit seiner unmittelbar gegen den Islam gerichteten Stoßrichtung. Und bitte: Bügeln Sie diesen Vergleich nicht einfach wieder plump als „Nazi-Vergleich“ ab. Hier wird nichts gleichgesetzt. Aber es sollen Ihnen die offenkundigen Parallelen zwischen beiden Bewegungen bewusst gemacht werden und damit die potenzielle Gefahr, die von Pegida für Sicherheit und Ordnung in unserem Land ausgeht. Sie und Ihre teils durchaus realen Ängste werden dabei benutzt – für ein politisches Ziel, dessen weitreichende Folgen vielen von Ihnen heute vermutlich in keinster Weise klar sein dürften.
Fakt 2: Pegida bedroht Frieden und Freiheit
Ein Volk wird niemals nur aus Individuen bestehen, die exakt das Gleiche denken, fühlen und wollen – es sei denn, man sorgt mit Gewalt dafür. In einer freien Gesellschaft aber wird es niemals ohne Kompromisse, ohne Toleranz und die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner gehen. Das Vertrauen, das binnen Monaten zerstört wurde, wiederaufzubauen, wird Jahre dauern. Aber wer ein Deutschland in Frieden und Wohlstand auch noch für seine Kinder und Enkel will, der wird alles daran setzen, es wiederherzustellen. Auch hier sind wieder ALLE gefragt, nicht nur Sie oder wir oder die Muslime.
Nicht der Islam oder die Flüchtlinge sind derzeit die größte Bedrohung für den Frieden in unserem Land: Es ist der durch Pegida herbeigeführte Zustand tief sitzender Feindseligkeit zwischen denen, die auf nationale und/oder kulturelle Exklusivität setzen, und jenen, denen im Sinne eines friedlichen Zusammenlebens Weltoffenheit und Demokratie wichtiger sind als völkische Ideale. Eine Feindseligkeit, die bereits jetzt teilweise so hochkocht, dass Rufe nach Bürgerkrieg und Revolution laut werden. Wer sich ein wenig mit der Geschichte unseres Landes befasst hat, dem schlagen spätestens in solchen Momenten die Alarmglocken. Denn genau so dämmerte er einst herauf, der Vorabend der nationalen Revolution Adolf Hitlers, die dem Holocaust, dem Zweiten Weltkrieg und der totalen Vernichtung Deutschlands den Boden bereitete. Wollen wir das wieder? Brauchen wir sie abermals, die Erfahrung der totalen Diktatur der Unmenschlichkeit? Wollen Sie wirklich das Risiko eingehen, möglicherweise Ihr vergleichsweise friedliches und sorgenfreies bisheriges Leben für eigene politische, ideologische oder religiöse Überzeugungen zu opfern und das ganze Land in eine ungewisse Zukunft zu steuern? Und vor allem: Wollen Sie dafür und für die möglichen Folgen auch die Verantwortung übernehmen?
Wollen wir wirklich wieder in einem Staat leben, in dem nach Herkunft oder Glaube entschieden wird, wer Grundrechte genießen darf und wer nicht? Und was wird dann mit denjenigen Menschen, die hier bereits leben und nicht in dieses neue exklusiv-völkische Gesellschaftsmodell passen? Wollen Sie also wirklich für Deutschland Verhältnisse, wie sie in Russland, in der Türkei oder gar in Israel Realität sind und wie sie es zu Beginn auch im Dritten Reich waren? Wollen Sie wirklich, dass die Medien wieder nur so berichten, wie es die herrschende Elite, für die Sie selbst gern stehen wollen, einfordert? Dafür müsste unser Grundgesetz gravierend verändert werden. Und wer oder was garantiert Ihnen denn, dass das nicht schlussendlich zu Einschränkungen führt, die am Ende auch wieder jeden Einzelnen von uns beeinträchtigen? Wollen Sie diese Büchse der Pandora wirklich wieder öffnen? Die Sicherungsmechanismen, die genau das verhindern sollen, wurden nach dem Ende des genau aufgrund solcher konstitutionellen Mängel möglich gewordenen Dritten Reiches nicht ohne Grund in unser politisches System eingebaut. Fakt ist: Pegida, AfD und NPD könnten sich auf legalem politischem Wege derzeit und auch in nächster Zeit niemals durchsetzen. Der einzige Weg, dennoch an die Macht zu gelangen, wäre deshalb ein gewaltsamer Umsturz – oder aber wie schon in der Weimarer Republik die aktive Mithilfe großer Teile des Volkes, die schon damals die Gefahr nicht erkennen wollte, die von der NSDAP als vermeintlichem Heilsbringer ausging. Und GENAU DAFÜR demonstrieren Sie, wenn Sie mit Pegida auf die Straße gehen.
Wieder und wieder hat Pegida mit Wort und Tat unterstrichen, dass sie für Abschottung, für eine völkisch-nationale Kultur, für Intoleranz und Ausgrenzung gegenüber bestimmten Volksgruppen steht. Ja, sie trägt diese Merkmale sogar im Namen. Die Naivität und Realitätsverlustigkeit vieler Anhänger scheint dahingehend grenzenlos. Neulich schrieb eine Unterstützerin, dass Pegida ja schließlich „gar nicht fremden-, sondern nur islamfeindlich“ sei. Hass lediglich auf eine ganz bestimmte Gruppe fremder Menschen zu konzentrieren, war DAS zentrale Merkmal nationalsozialistischer Politik in der „Judenfrage“, die in eine Vernichtungspolitik gipfelte, die zu Beginn die wenigsten so gewollt hatten und absehen konnten! Es ist gewiss kein Argument FÜR Pegida, sondern dagegen! Fremdenfeindlich bleibt es trotzdem.
Pegida ist offiziell für die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen. Doch auf den allwöchentlich stattfindenden Demos in Dresden und anderswo wird oft ziemlich schnell klar, dass dies nichts als eine leere Hülse ist, die der Bewegung einen pseudo-rechtsstaatlichen Anstrich verpassen und die wahren Ansichten ihrer Anhänger verbergen soll. Denn tatsächlich bescheinigt man den Flüchtlingen zu (frei erfundenen) Prozentsätzen irgendwo zwischen je nach Quelle 70 und 90 Prozent, wirtschaftlichen Motiven zu folgen. So einfach ist das mit der „Wahrheit“: Kriegsflüchtlinge ja – aber wenn es zu viele werden, einfach die meisten zu Asyltouristen umetikettieren und fertig.
Pegida fordert offiziell die Aufnahme eines Rechtes und einer Pflicht zur Integration für Zuwanderer ins Grundgesetz. Schön und gut und für die meisten von uns sicherlich auch vertretbar. Aber sind Sie denn als Bürger auch bereit, Ihren Beitrag dazu zu leisten? Ein Recht auf und die Pflicht zur Integration für Zuwanderer bedingt unmittelbar auch die Pflicht zur Integrationsbereitschaft aufseiten der Mehrheitsgesellschaft. Die sehe ich bei Pegida mitnichten.
Offiziell tritt Pegida für die dezentrale Unterbringung von Kriegsflüchtlingen ein – doch seit es die Bewegung gibt, werden gerade solche dezentralen Wohngebäude, oft auch in kleinen Gemeinden, immer wieder zerstört. Auch lässt Pegida Vorschläge vermissen, wie man eine dezentrale Unterbringung bei den aktuellen Flüchtlingszahlen garantieren könnte.
Ebenso gibt sich Pegida offiziell sehr fürsorglich und fordert eine bessere Betreuung für die „teils traumatisierten Menschen“ – doch ihre Anhänger zeigen in Blogs und sozialen Netzwerken immer wieder, wie sie wirklich über die „traumatisierten Menschen“ und diejenigen denken, die alles tun, um ehrenamtlich deren Betreuung zu verbessern: Sie werden zur Zielscheibe von ätzendem Zynismus, menschenverachtender Hetze und offenen Anfeindungen. Wenn den hier ankommenden Flüchtlingen von vorn herein und ohne jede Prüfung jegliche legitimen Beweggründe für ihre Flucht abgesprochen und sie mehr oder weniger pauschal als kriminelle Schmarotzer abgestempelt werden – wo bleibt da noch die von Pegida im offiziellen Duktus viel beschworene Differenzierung?
Pegida fordert offiziell eine „schnellere Integration“ von anerkannten Flüchtlingen – doch ihre Anhänger propagieren massenhaft und ohne Scheu offen deren Ausgrenzung und sofortige Ausweisung, wie beispielsweise die Pegida-nahe Bürgerinitiative Freital, deren Chef René Seyfried im April gegen die Ausweitung von Integrationsleistungen wie etwa Deutschkursen anwetterte, die man nicht wolle, weil diese Leute so schnell als möglich wieder abreisen sollen, statt bei uns anzukommen.
Pegida ist offiziell gegen eine „frauenfeindliche, gewaltbetonte Ideologie“, die aber nicht näher benannt wird. Was ist denn damit gemeint? Am Ende Pegida selbst? Wie oft wurde Angela Merkel als Hure, Nutte und Schlimmeres beschimpft. Wie oft wurde ihr und anderen Gegnern der Pegida der Tod gewünscht bzw. angedroht? Wie oft wurden auch Flüchtlingsfrauen und -mädchen Opfer fremdenfeindlicher Attacken? Nicht aber gegen „hierlebende, sich integrierende Muslime“, fügt Pegida diesem Grundsatz, der keiner ist, hinzu. Damit widerspricht man – um nicht sofort den volksverhetzenden Charakter zu offenbaren – dem Anspruch, den man im Namen trägt, oder aber man hat den Begriff Integration nicht verstanden. Integration ist nicht gleichbedeutend mit Assimilation im Sinne völligen Aufgehens in der Mehrheitsgesellschaft, sondern sie fußt auf der Beibehaltung eigener kultureller Traditionen und deren Anpassung an die hiesigen Werte und Gesetze.
Was überhaupt ist Islamisierung? Woran erkennt man sie im deutschen Alltag? Geht es um die Radikalen, die Terroristen – von denen gerade wir Deutschen bislang weitgehend verschont geblieben sind? Wie vielen Burka-tragenden Frauen begegnet man in Dresden oder Leipzig beim Einkaufsbummel? In meinem ganzen Leben habe ich hier zwei gesehen. Wie viele Burka-tragende Frauen sind unter den meist syrischen Flüchtlingen? So gut wie keine. Und wenn doch: Welches Unrecht geschieht Ihnen persönlich dadurch? Glauben Sie wirklich, dass irgendwann in Deutschland die Frauen alle eine Burka tragen werden müssen, wenn wir unsere Muslime von Kindesbeinen an zu guten deutschen Staatsbürgern erziehen und ihnen offen und herzlich begegnen? Haben Sie das mal versucht? Wir haben es doch in unserer Hand! Und was genau ändert sich denn für Sie, wenn die muslimische Frau aufgrund eines Burka-Verbotes statt der Burka ein Kopftuch trüge? Werden Sie ihr deswegen wirklich toleranter, freundlicher und offener gesinnt sein? Und kümmert es Sie eigentlich, welche inneren und äußeren Konflikte der Frau daraus entstehen könnten?
Oder geht es nicht vielleicht doch um den Islam als solchen, der gerade mit den aktuellen Flüchtlingsströmen natürlich präsenter werden wird in unserem Land? Wie oft hört man es auf Pegida-Demos, liest es auf den Transparenten: Der Islam sei eine menschenverachtende Ideologie! Wäre es in diesem Fall aber nicht völlig belanglos, wie sehr sich ein Muslim integriert, wenn seine Religion das eigentliche Problem ist? Die wird er in den seltensten Fällen freiwillig abgeben – und muss es auch nach unserem Grundgesetz nicht.
Und so präsentiert sich Pegida bei genauem Hinsehen als zähnefletschender Wolf im gut entlausten Schafspelz. Schlimmer noch: Es ist eine Dynamik entstanden, über die die politisch unerfahrenen, eher unterdurchschnittlich gebildeten und teilweise vorbestraften Urheber längst die Kontrolle verloren haben. Rechtsextreme und rechtsnationale Gruppierungen und Parteien ziehen längst die Fäden und drücken der Bewegung ihren Stempel auf. Und SIE müssen ganz allein für sich entscheiden, ob Sie sich von dieser Mogelpackung und ihren Demagogen weiter blenden, aufhetzen und aufzehren lassen wollen – um am Ende vielleicht wie Ihre Eltern oder Großeltern anno 45 vor den Trümmern der eigenen wie unserer nationalen Existenz zu stehen. Oder ob Sie Ihren Ängsten nicht doch einfach mal versuchsweise auf Augenhöhe begegnen wollen.
Wider Angst und Hysterie – es lebe der gesunde Menschenverstand!
In Zeiten von Psychiatrien, die sich mit Menschen mit Terror- und Flüchtlingsneurosen füllen, appelliere ich an Ihre Vernunft: Ziehen Sie die Notbremse! Schalten Sie ab. Kehren Sie zu einem reflektierten Denken zurück. Gleichen Sie Ihre Ängste an der Realität ab, statt darin regelrecht aufzugehen: Sind sie überhaupt berechtigt oder einfach nur Mittel zum Zweck, das durch Demagogie und Hate-Speech geschickt gesteuert wird?
Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen wider deinen Nächsten!
Gebot Nummer acht der abendländisch-christlichen Lehre. Wie viele Vergewaltigungen durch angebliche Flüchtlinge wurden in den letzten Monaten zur Anzeige gebracht, die sich im Nachgang als reine Erfindung herausstellten? Und wie oft wurden diese vermeintlichen „Fakten“ in sozialen Netzwerken geteilt? Machen Sie sich klar, dass Ihr Eindruck von der Situation im Zuge des Flüchtlingszustroms zumeist eine Ausgeburt niederträchtigster Propaganda ist, die die berühmten Fünkchen Wahrheit bewusst mit jeder Menge Halb- und übler Unwahrheiten vermischt, um die Hysterie der Masse am Kochen zu halten. Schon Adolf Hitler wusste, wie wichtig dieser Faktor ist, um eigene Ziele durchzusetzen.
Prüfen Sie genau nach: Was will eigentlich PEGIDA – und was genau will ich? Möchte ich wirklich Seit an Seit mit Anhängern der rechtsextremen NPD und AfD marschieren, weil mir die Flüchtlingswelle Angst macht? Dass Sie Angst haben, ist natürlich und verständlich. Aber wird Pegida auf legalem Wege an dieser Angst irgendetwas ändern können? Wollen Sie also weiter Angst haben? Oder wollen Sie dagegen etwas tun? Pegida wird nichts dagegen tun – im Gegenteil: Sie wird Ihre Ängste weiter schüren, weil sie sie braucht. Der Leidtragende sind Sie und völlig unschuldige Menschen.
Deshalb, Patrioten! Patriotismus ist per se etwas Gutes, da er die Heimat und ihre traditionellen Errungenschaften preist. Er zielt nicht auf die Bekämpfung oder Abschaffung dieser Traditionen und Prinzipien, sondern auf deren Erhalt sowie auf den Gedanken nationaler Einigkeit – unabhängig vom Glauben und von den Wurzeln der Bürger eines Landes. Es unterscheidet Patriotismus von Chauvinismus und Nationalismus. Besinnen Sie sich der großen deutschen Tradition des aufgeklärten Denkens und der Lehre der christlichen Kirche, die Nächstenliebe und Bescheidenheit statt Maßlosigkeit und Überheblichkeit predigt. Die christlich-abendländische Kultur will Pegida offiziell retten – tatsächlich tritt sie sie mit Füßen, wo sie nur kann, weil ihre Urheber mit Gottes Wort so viel am Hut haben wie der Papst mit Polygamie. Das einzige, was ihnen an der christlich-abendländischen Kultur gelegen ist, ist ihr Ausbau zur Festung gegen den verhassten Islam.
Du sollst den Namen des Herren, deines Gottes, nicht missbrauchen
sagt das zweite Gebot. Dass es keinen anderen Gott neben dem einen geben solle, sagt das erste. Christen, Muslime und Juden – sie alle dienen ein und demselben Gott. Alle achten damit dieses Gebot. Wussten Sie das als Mitstreiter der Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes?
Du sollst nicht töten!
lautet übrigens das fünfte Gebot. Doch Hass tötet früher oder später. Wollen Sie das? Reichen bewaffnete Übergriffe auf Asylbewerber und Politiker nicht? Wollen Sie sich ernsthaft mitschuldig machen, wenn der erste Mensch bei solchen Angriffen sein Leben verliert?
Sind Sie „das Volk“?
Nein. Wie auch ich sind Sie lediglich ein TEIL davon. Und auch Pegida ist nur ein winzig kleiner Teil des Volkes. 7-9000 Menschen kommen im Schnitt zu Pegida-Demos nach Dresden. Man kennt und schätzt sich dort, denn es sind fast immer dieselben Gesichter in der Menge. Das ist nicht „Das Volk“, das sind nicht mal „viele“. 184000 Freunde hat Pegida auf Facebook (davon auch viele aus dem Ausland). Selbst wenn man noch ein paar Hunderttausend schweigende Sympathisanten in deutschen Lehnstühlen hinzurechnet – was sind sie gegen 81 Millionen andere? Diese wenigen halten das ganze Auto namens „BRD“ für Schrott, weil hier und da eine Schraube klemmt und die Straßenverhältnisse gerade ziemlich schwierig sind. Würden Sie so im „real life“ mit Ihrem eigenen Auto verfahren? Oder würden Sie es liebevoll pflegen und mit viel Hingabe die kleinen Macken beseitigen, statt es als Ganzes zu entsorgen? Es sind diejenigen, deren Grundstimmung ohnehin nach einem solchen Fatalismus schreit, oft, weil sie selbst das Gefühl haben, im Leben gescheitert oder nicht dort angekommen zu sein, wo sie hinwollten. Oder solche, denen es einfach nach Macht und Gewalt dürstet. Es sind diejenigen, die einfache Wahrheiten und einfache Lösungen bevorzugen, um eben NICHT denken und NICHT mutig sein zu müssen. Stattdessen verwechseln sie Verbitterung, Starrsinn und Menschenverachtung mit vermeintlichem Mut und Standfestigkeit.
Deshalb, werte Pegida-Anhänger: Seien Sie mutig! Kehren Sie zurück in unsere Mitte. Angst und Scheitern sind keine Schande oder sollten es zumindest nicht sein. Lasst uns lernen, einander wieder zu vertrauen – auch wenn wir nicht immer derselben Meinung sind. Lernen aber auch Sie, zu verstehen, dass die Grund- und Freiheitsrechte in Deutschland unveräußerlich sind, dass sie für ALLE Menschen gelten, nicht nur für Sie selbst, und dass auch Sie selbst letztlich von ihrer Aufweichung oder gar Abschaffung Schaden nehmen würden. Verstehen Sie, dass das Recht auf Asyl eines dieser Grundrechte ist. Sie können da anderer Meinung sein, Sie dürfen diese Meinung in diesem Staat auch offen sagen, solange Sie damit nicht die Grundrechte Dritter oder deutsches Strafrecht verletzen. Aber bitte erwarten Sie nicht von der Regierung, dass sie sich danach richtet, nur weil eine Minderheit das so will. Und dass Sie eine solche sind, wissen Sie ganz genau. Nur so lassen sich die ohnmächtige Wut und die unglaubliche Aggressivität erklären, mit denen Pegida-Anhänger häufig jede Annäherungsversuche der „Gegenseite“ abwehren. Doch die Tür ist nicht zugeschlagen. Die Gesellschaft hat Sie nicht vergessen und hat das Brett in den Spalt geklemmt, das viele von Ihnen noch wie ein Schutzschild vor sich hertragen. Nehmen Sie’s doch einfach ab und treten Sie ein. Da Sie sich eigenen Willens von uns abgekoppelt haben, wird man Ihnen das Initiative zu diesem Schritt leider nicht ersparen können. Aber es wird sich lohnen, versprochen. Dann werden Sie vielleicht auch erkennen, dass es unter Deutschen und Türken, unter Juden, Christen, Pegidisten und auch unter praktizierenden Muslimen gute wie schlechte Menschen gibt. Die schlechten wird man strafen. Die guten aber sollten alle die gleiche Chance haben. Was genau ist daran denn eigentlich so inakzeptabel?
In diesem Sinne herzlichst und mit den besten Wünschen für ein gesundes und vor allem ein friedlicheres und versöhnlicheres Jahr 2016 für Sie alle und Ihre Familien,
Jane Jannke