Analysen dessen, was in den vergangenen Tagen geschehen ist, fallen schwer. Sie sollten zumindest schwerfallen, angesichts der Erschütterungen, die die Welt zuletzt erfahren hat. Vielleicht wäre kollektives Schweigen, eine heilsame Stille, jetzt am angebrachtesten. Doch die Welt schweigt nicht. Sie heilt nicht. Sie wütet. Sie hasst. Sie lächzt nach Rache. Statt um Fassung ringt sie um einen undefinierbaren Sieg. Statt Trauer, Innehalten, Reflexion – Jetzt erst recht.
In dem Aufruhr nach dem Anschlag geht die Sehschärfe verloren, Konturen verwischen und damit auch der Blick auf das Ganze, über den eigenen Tellerrand hinaus. Dorthin, wo Leid und Tod Alltag sind und nicht nur alle paar Jahre auf verstörende Weise über friedens- und wohlstandsverwöhnte Gesellschaften hereinbrechen.
2000 Menschen sind in Nigeria in der letzten Woche bei einem Terroranschlag der Boko-Haram niedergemetzelt worden. Deren Divisionen des Schreckens rekrutieren sich aus Muslimen. Aber auch aus Tausenden erwachsen gewordener Kindersoldaten, die in den Bürgerkriegen Afrikas ihre Familien und ihre Kindheit verloren und zu seelenlosen Zombies wurden. Kriege, die von europäischen Mächten häufig indirekt befeuert oder mit Waffen unterstützt wurden. Was tut Europa angesichts Tausender, ausgelöscht an einem Tag? Es bringt Millionen auf die Straße – aber ihre Trauer, ihre Wut und ihr Entsetzen bleiben den 16 französischen Terroropfern vorbehalten. Man braucht die Kraft. Zum Beispiel, um die Millionenauflage jenes Blattes am heutigen Tag zu preisen, das mit seinen unappetitlichen Karikaturen keine Gelegenheit auslässt, Hass zu schüren, Konflikte zu vertiefen, ohne Blick für die wahren Probleme, die wahren Ursachen bestimmter Phänomene – eigentlich ein unverkennbares Markenzeichen seriöser, konstruktiver Satire. Jetzt erst recht. Statt mutiger Ausbrecher – nur Lemminge, die sich in die Masse flüchten und nicht sehen, dass sie gemeinsam auf den Abgrund zusteuern.