Gestern herrschte große Aufregung in unserem Dresdner Städtchen (so nennen wir unsere Kasernen) – die erste große Übung des Jahres! Die Schlange der LKW, die uns abholten, war so lang, dass sogar die breite Straße vor der Kaserne, die Fischer-Allee heißt, stundenlang gesperrt werden musste. Wird die Deutschen geärgert haben, weil das hier oben die Hauptverbindung zur Autobahn ist. Naja, neu war das nicht. Wir kennen das schon aus dem letzten Jahr. Dafür konnten unsere Grünschnäbel vor lauter Aufregung nachts kaum schlafen. Obwohl das wahrscheinlich auch Korsakows Sonderbehandlung zu verdanken war: Zwei der „balkenlosen“ ließ er die ganze Nacht Wache stehen – zur Vorbereitung, wie er sagt. Fünf andere mussten unsere Stiefel, Kragen und Koppel auf Hochglanz bringen. Am Morgen hatten sie blaue Ringe unter den blutunterlaufenen Augen, und Korsakow kassierte auch noch ihre Marschverpflegung ein – zur Abhärtung, wie er sagt. Mir tun sie leid, obwohl ich das auch alles durchhabe. Aus einer wolfslosen Zeit. weiterlesen
Kategorie: Sächsische Naturlandschaften
Unter Sängern.
Es war am vergangenen Wochenende, als ich fast schon eine – zumindest habe ich es so empfunden – spirituelle Erfahrung machen durfte. Ich war elf, als ich das letzte Mal die Aula des Uniklinikums in Dresden (damals noch Medizinische Akademie) betrat und den schweren Duft der alten Holztäfelung dort einatmete. Dort probte damals einmal die Woche der Kinder- und Jugendchor der Singakademie Dresden, in dem ich seit 1986 Mitglied war. Ich ging im Zorn, denn das Chorleben glich damals aufgrund der Wende-Wirren nur noch einem einzigen Chaos, die Proben eher dem Drill auf dem Exerzierplatz.
Vor einem Monat, ein gutes Vierteljahrhundert später, habe ich diese verschütteten Fäden meiner Jugend wiederaufgenommen – und bin dem Neuen Chor Dresden beigetreten, der übrigens nach wie vor neue Mitglieder sucht. Wieder proben wir in einer herrlichen Aula, mit einer Decke, die mindestens fünf Meter hoch und mit prächtigen Stuckelementen verziert ist. Sogar eine kleine Orgel und einen Rang haben sie dort im Gymnasium Dresden Plauen. Jedoch: Mein Rückstand ist groß, es gilt, eine Menge bislang unbekanntes Repertoire einzustudieren, die Stimmbänder wieder zu schmieren. Also heißt es: üben, üben, üben. Täglich malträtiere ich nun die Nachbarn mit meinen Arien. Und weil ich deshalb schon ein schlechtes Gewissen habe, kam mir der Gedanke der Freiluft-Probe. So packte ich kurzentschlossen meine Noten und meine Stimme ein und zog hinaus in die fast menschenleeren Weiten der Königsbrücker Heide hinter Röhrsdorf.
Dort auf einem mit Birken und Kiefern bewachsenen Plateau, das der sowjetischen Armee einst als Übungsgelände gedient hatte, schlug ich meine Zelte auf. Um mich herum nichts als Stille. Nur ein paar Krähen und ein leises, undefinierbares Piepen waren ab und an zu hören, und das Knarzen der Bäume im schwachen Lüftchen. Von meinem Plateau schaute ich hinunter auf das wellige, karg bewachsene Land, auf dem hier und da noch verrostende Geschosshülsen aus alten Tagen liegen. Ein bisschen fühlte ich mich wie auf einer Bühne, und da vor mir der Saal… wie lange ist das alles her.
Ich fing an zu singen. Erst ziemlich leise, verschämt. Dann lauter, kräftiger, mit mehr Selbstvertrauen sang ich meine Lieblingslieder von Händel, Mendelssohn-Bartoldy und anderen hinaus in die Natur. Nur für sie sang ich an diesem Nachmittag. Auch Stücke aus dem aktuellen Chorrepertoire. Bei Orffs „In Trutina“ muss es gewesen sein, dass ich plötzlich innehielt, irritiert von etwas, das mir aufgefallen war: Ich sang nicht mehr allein.
Um mich herum war die Heide irgendwie zum Leben erwacht. Wo vorher die Krähen leichtes Spiel gehabt hatten und kaum ein Vogel sonst zu hören gewesen war, hatte mit einem Male ein zaghaftes Zwitschern und Tirilieren angehoben. Und ich fragte mich: Kann das sein, dass sie mich, dieses flügellose, dürre Ding auf zwei Beinen, mit seinem unspektakulären Stimmchen, als einen von ihresgleichen ansahen? Dass sie sich von mir auf- oder auch herausgefordert sahen, aus der spätwinterlichen Starre zu erwachen und ihre eigenen Werke vorzutragen? So viel kulturelle Toleranz im Reich der Flattermänner? Ich war überwältigt. Ein paar Minuten lang kam kein Laut über meine Lippen mehr. Ich setzte mich in diesem vernarbten Land im Schneidersitz auf das junge Gras, und lauschte dem zarten, um so viel schöneren Echo, das zurückkam, und wurde eins mit ihnen und der Natur. Ein Moment wahrhaftiger Magie, der Interaktion, ohne Macht auszuüben, wie es der Mensch sonst so häufig tut.
Neues von der Baumfront
Ach so: Ich hatte der Stadt Zeithain im Übrigen eine E-Mail geschickt mit dem Hinweis auf die Problematik des Gehölzsterbens am Ostrand der Gohrischheide. Eine Antwort habe ich bislang nicht bekommen.
Rätselhaftes Baumsterben in der Gohrisch-Heide
Im vergangenen August hatte ich erstmals andeutungsweise über ein mysteriöses Phänomen geschrieben, das ich in Teilen der Gohrisch-Heide entdeckt hatte. Damals war mir aufgefallen, dass mein geliebter Apfelbaum im Zentrum des Alten Lagers bei Zeithain keine Früchte mehr trug, ja, dass ganze Äste begonnen hatten, abzusterben.
Während der Apfelbaum im Alten Lager – einem früheren Kasernengelände der sowjetischen Armee – zu den wenigen Obstbäumen zählt und deshalb auch sofort ins Auge sticht, sieht es am östlichen Rand der Gohrisch-Heide, zwischen B169 und Altem Lager, ein wenig anders aus. Zahlreiche Apfel-, Birnen- und Pflaumenbäume, aber auch Hollunder- und Hagebuttensträucher gibt es hier. Vormals muss das Gelände als eine Art Landgut oder Plantage genutzt worden sein. Heute liegt es mehr oder weniger brach und hat dadurch eine wildromatische Schönheit entfalten können. Seit drei Jahren mache ich jeden Herbst, zur Erntezeit, dorthin einen Abstecher, damit wenigstens ein paar dieser herrlichen Früchte nicht verkommen. Niemand erntet sie sonst, niemand scheint sich um die Bäume zu kümmern.
Doch im letzten Herbst dann der Schock: Die meisten der zahllosen Kirschpflaumen- und Apfelbäume trugen zwar Blätter, aber keine Früchte. Viele von ihnen wiesen zudem einen großen Teil abgestorbener Äste auf, die zum Teil vom Stamm ausgehend schwarz verfärbt waren. Zunächst dachte ich, es hätte vielleicht eine Art Wiesenbrand gegeben, denn die schwarzen Verfärbungen erinnerten an verkohltes Holz. Da das Gras und auch die angrenzenden Kornfelder ringsum aber völlig unversehrt waren, halte ich das für eher unwahrscheinlich. Ich zog damals mit einer äußerst mageren Ausbeute wieder ab – nur ein paar wenige Kirschpflaumenbäume hatten überhaupt noch Früchte getragen. Äpfel gab es gar keine. Ich machte mir Sorgen um mein kleines wildes Obstparadies.
Heute nun wollte ich mich davon überzeugen, dass alles nur ein vorübergehendes Phänomen gewesen war, mir die Obstblüte anschauen, die ersten Fruchtkörper begutachten. Doch als ich von der B169 hinter Zeithain in den kleinen Feldweg einbog, traf mich nach wenigen Metern fast der Schlag: Fast ALLE Obstbäume und Früchte tragenden Sträucher ringsum (und das sind sehr viele!) sind tot. Verdorrt. Einfach abgestorben. Sie tragen weder Blätter noch zeigen sie sonst irgendwelche Zeichen von Leben. Einige wenige haben wenigstens noch ein paar Blätter ausgebildet, lediglich ein Baum stand in Blüte.
Was geschieht am Ostrand der Gohrisch-Heide? Mittlerweile bin ich überzeugt, dass ein aggressiver Schädling unter den Obstbäumen wüten muss. Anders ist dieses Massensterben von Bäumen und Sträuchern nicht zu erklären. Ganze Baumgruppen sind tot. Und immer wieder dieses rätselhafte schwarze Holz, dass an verkohlte Stellen erinnert und teilweise sogar Zaunlatten erfasst hat. Nach ein wenig Recherche drängt sich mittlerweile ein schlimmer Verdacht auf: Die Streuobstwiesen hinter Zeithain könnten vom Feuerbrand befallen sein – einer Bakterienerkrankung, die besonders gern Kernobstbäume heimsucht. Die Krankheit ist deshalb so gefährlich, weil sie sich seuchenartig ausbreitet und rasend schnell weitere Gebiete erfassen kann – was in Zeithain offensichtlich der Fall ist. Sollte der Verdacht zutreffen, wäre schnelles Handeln gefragt. Der Feuerbrand ist meldepflichtig. Im Prinzip sollte ich wahrscheinlich die örtliche Umweltbehörde informieren, damit dort jemand mal einen Blick drauf wirft. Aufgefallen ist die Problematik dort offenbar ja noch nicht.
Schade ist es allemal um die herrlichen Bäume. Im Hochsommer herrschte hier immer ein Gezwitscher, denn auch viele Vögel wussten die Früchte zu schätzen. Heute wirkte alles fast wie ausgestorben. Ein trauriger Anblick. Ob sich die Bäume je wieder erholen werden, ist schwer zu sagen. Derzeit sieht es eher nicht danach aus.
Verkannte Jäger.
Irgendwann, vermutlich im Morgengrauen, war er da, hat seine dicken, grauen Pfoten mit den scharfen Krallen daran in den feuchten Sand gesetzt. Eine nach der anderen, immer in den Abdruck der vorderen. Tau oder Reif haben den Abdruck festgebacken. Wie eine Schnur zieht sich die Fährte durch den Heidesand. Wo genau ich sie am letzten Sonntag fand, werde ich hier aus Sicherheitsgründen nicht bekannt geben. Für seine Sicherheit. Denn Isegrim zählt zu den verkanntesten und meistgescholtensten Raubtieren unseres Landes. Und das meist völlig zu Unrecht.
Es war die erste Wolfsfährte, die ich im Einzugsgebiet der Königsbrücker Heide fand. Dass es hier wieder ein Wolfsrudel gibt, ist bereits seit 2011 bekannt. Auch Nachwuchs hat es schon gegeben, wie Fotofallen der Wolfsregion Lausitz belegen. Es ist eine stille Rückkehr gewesen. Eines Tieres, das seit über 250 Jahren in Sachsen als ausgerottet galt. Ein Denkmal an der B97 erinnert noch heute an die Tötung des vermeintlich letzten lebenden Wolfes im Jahr 1740.
In Anbetracht dessen, dass ich bereits seit über einem Jahr zielgerichtet Ausschau nach Zeugnissen der Anwesenheit dieser edlen, scheuen Tiere in unseren Breiten hielt, ein erhebender Moment. Ganz deutlich zeichneten sich die vier Zehen mit den langen Krallen daran und der Fußballen ab. Vermutlich war er nicht mal allein, denn Wölfe haben die Angewohnheit, im Rudel immer hinter dem Vordermann zu laufen, dessen Pfotenstapfen benutzend, sodass Verfolger manchmal meinen, es sei nur ein Tier, dessen Spur sie aufnehmen.
Längst nicht jedem geht beim Anblick einer Wolfsfährte derart das Herz auf. Die Angst vorm bösen grauen Wolf zählt zu den Urängsten der Menschheit. Ihre Wurzeln hat sie in den alten Mythen und Mären des Mittelalters, als der Mensch seinen Siedlungsbereich immer weiter in die Wälder ausdehnte und dort mit dem stillen Räuber in Konflikt geriet. Seither gilt der Wolf als Todfeind des Menschen, der Schafe und Rinder reißt und dem Menschen existenziellen Schaden zufügt. Dabei war er es, der stets um seine Existenz kämpfte – und in immer mehr Regionen Europas diesen Kampf verlor. Zunächst.
Seine Rückkehr nach Deutschland hat vielerorts Hysterie und Aktionismus ausgelöst. Der Wolf sei eine Gefahr, hieß es unverzüglich, er schädige die Landwirte und bedrohe die öffentliche Sicherheit. Geschossene Tiere wurden gefunden, obgleich die Jagd auf sie in Sachsen streng verboten ist, denn Isegrim steht auf einer Liste vom Aussterben bedrohter Tierarten. Warum dieser Hass auf diese wunderschönen, intelligenten und geschmeidigen Jäger? Wo immer sie können, gehen sie dem Menschen aus dem Weg. Das Königsbrücker Rudel hat sie tief ins Innere des mehr als 70 Quadratkilometer großen ehemaligen Truppenübungsplatzgeländes zurückgezogen. Und selbst wenn es einmal passiert, dass sie mangels ausreichender Reviergröße in menschliches Territorium eindringen und Nutztiere reißen: Der Freistaat Sachsen entschädigt die Landwirte für jedes einzelne Tier. Und was noch viel wichtiger ist: Er fördert Schutzmaßnahmen, um Weiden und Stallungen wolfssicher zu machen, quasi zu 100 Prozent. Es liegt also letztlich in der Hand eines jeden Landwirtes, für die Sicherheit seiner Tiere maximal Sorge zu tragen.
Warum sollte der Wolf den Umstand menschlicher Arroganz und Ignoranz gegenüber dem Existenzrecht anderer Lebewesen mit dem Leben bezahlen müssen? Ich möchte ihm nicht allein in den Weiten eines Heidewaldes begegnen. Dazu habe ich zu viel Respekt. Aber ich werde die Spuren seiner Anwesenheit immer mit Freude im Herzen registrieren. Je mehr wir ihn achten, umso mehr wird er dasselbe für uns tun. Das ist ein Naturgesetz.
Neuanfänge und Abschiede.
Es ist so weit….
… die Heidekrautblüte in den sächsischen Heidelandschaften hat begonnen! Hier Besenheide, entdeckt in der Gohrisch-Heide bei Zeithain.
Doch nicht nur Schönes gibt es zu berichten. Vermutlich der milde Winter hat ein bedauernswertes Opfer gekostet:
… der alte Apfelbaum im Alten Lager – er trägt in diesem Jahr keine Früchte. Ein guter Teil der Äste ist kahl und von Pilzen bedeckt. Schon im Frühjahr war mir aufgefallen, dass er nach einer zunächst scheinbar normal verlaufenen Blüte kaum Fruchtstand entwickelte. Heute hängen gar keine Äpfel mehr zwischen den von irgendeinem Schädling gezeichnet wirkenden Blättern. Noch im vergangenen Spätsommer hatte ich hier die herrlichsten Äpfel pflücken können:
Bleibt zu hoffen, dass er sich wieder erholt, der gute alte Baum.
Im Reinen mit der Welt. Auf Streifzug durch sächsische Heidelandschaften.
In den letzten Jahren ist es mir immer häufiger passiert, dass ich mit einem friedvollen Lächeln im Gesicht und staunenden Augen wie Kind durch urwüchsige Naturlandschaften meiner sächsischen Heimat zog – und in dem Gesumm und Gezwitscher, im Farbenspiel der Blüten, Gräser und Sträucher der sächsischen Heidelandschaften völlig aufging. Wenn der Wind durch die dicht stehenden Halme streicht und dabei dieses leise Rascheln erzeugt, wenn er Blütenköpfe nicken lässt und ihnen die letzten morgendlichen Tautropfen entlockt, wenn die Schmetterlinge einen umgaukeln und scheinbar gar keine Furcht haben, wenn Rehe und Hirsche in einem Anflug ungestümen Schreckens direkt vor deinen Augen aus dem Unterholz brechen und 100 Meter weiter irritiert stehen bleiben, ehe sie mit weniger kapriziösen Sprüngen wieder im Dickicht verschwinden – dann bin ich im Reinen mit der Welt.

In den weiten Heidelandschaften, von denen Sachsen glücklicherweise noch vergleichsweise viele besitzt, bekommt man eine Ahnung davon, was Freiheit bedeutet, was es heißt, nicht hinter jedem Busch die Zivilisation zu erblicken. In den großflächigen Gebieten von Gohrisch-, Königsbrücker, Dübener, Oberlausitzer oder Muskauer Heide sind nicht nur Pflanzen- sondern auch Tierarten mittlerweile wieder heimisch, denen sonst über weite Strecken der Lebensraum abhanden gekommen ist. Wölfe, Luchse, Biber und sogar Elche kann man hier zwischenzeitlich wieder antreffen – stark bildlich gesprochen natürlich.

Im Juni und Juli hat die Heide ihre Leben voll entfaltet, wenngleich hier eigentlich immer – selbst im Winter – irgendetwas blüht. Doch jetzt sind die farbenprächtigen Blumen an der Reihe, die weithin leuchten, während viele andere typische Heidegewächse wie Gräser, Moose, Flechten und Stauden häufig eher unscheinbare Blüher sind. Dort draußen gibt es Pflanzen, von denen ich früher dachte, dass sie dafür gemacht worden waren, als Zierde an einem sonnigen Zimmerfenster zu stehen. Sie außerhalb eines Blumenladens zu finden, war eine überaus erfreuliche Entdeckung. Vom Spätsommer bis zum Herbst verwandelt sich die Heide dann in einen einzigen rosa- bis fuchsiafarbenen Teppich, wenn die Besenheide blüht, die weite Teile typischer Heidegebiete überzieht.
Fast ist es, als würden hier alle Zuflucht suchen, denen es in den urbanen Fluren zu hektisch, zu laut, zu schmutzig ist.








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