Kategorie: Persönlich
Ein Abschied.

Abschiedsstimmung. Nach zuletzt ununterbrochen elf und insgesamt fast 25 Jahren und damit zwei Dritteln meines Lebens, die ich hier in der Dresdner Neustadt gelebt habe, kehre ich meinem Viertel den Rücken. Es erfüllt mich nicht mit Wehmut oder Trennungsschmerz. Diese Phase ist überwunden. Ich ziehe weg – der Entschluss steht fest. Die Wohnungssuche läuft schon eine Weile. Die neue Bleibe soll nicht nur ein windiger Kompromiss sein. Doch wie lange es auch noch dauern mag: Meine Tage als Neustädter sind sicher gezählt.
Der physische Abschied in Form des Wegzuges ist reine Formsache. Es war der innere Abschied, der lange dauerte und sich als äußerst schmerzhafter Prozess erwies. Fast auf den Tag genau vor fünf Jahren schon schrieb ich, damals noch im ArtUndWiese-Blog, über das Viertel, in dem ich geboren wurde und aufgewachsen bin:
Das Leben ist hektisch geworden, hektisch, anonym, eng und wenig gemeinschaftlich – zumindest, wenn man unter „gemeinschaftlich“ etwas anderes versteht, als sich allabendlich mit seinen Saufkumpanen an der „Assi-Ecke“ Louise/Rothi/Görli zu treffen, den ganzen Weg zu blockieren und das Gedrängel zu nutzen, um Mädels anzumachen, die einfach nur an diesem Nadelöhr vorbeiwollen.
Fünf Jahre später hat sich vieles gehalten, einiges ist anders, aber keinesfalls besser. Im Gegenteil: In den letzten Jahren hat die Äußere Neustadt ihre Entwicklung hin zum übervölkerten, durchgehend versiegelten Wohngetto mit höchstem Lärm-, Schmutz- und Stressfaktor beinahe vollendet. Auf der Kamenzer und der Förstereistraße werden gerade zwei der letzten noch nicht mit Neubauten vollgestopften Brachen zugebaut. Auf der Förstereistraße ist der neue Glas-/Betonpalast mit exklusiven (und vor allem teuren) Luxuswohnungen fast fertig. Monatelang hat die Baustelle den Verkehr behindert und ohnehin knappe Parkplätze gefressen. Vor ein paar Wochen ging es an der Kamenzer kurz vor der Ecke Louisenstraße los, und auch in der Louisenstaße muss gegenüber der Feuerwache eine letzte Brache weichen. Der neue „Campus“ vor der Scheune ist so furchtbar hässlich und steril, dass es einem fast das Herz rausreißt.
Beinahe unerträglich auch die Entwicklung oberhalb des Alaunplatzes, entlang der Tannen- und Hans-Oster-Straße, der sogenannten „Oberen Neustadt“. Was hier seit 2010 geschieht, grenzt an ein städtebauliches Verbrechen und eine optische Vergewaltigung. Binnen sechs Jahren ist ein tristes, gleichförmiges, plump und absolut unästhetisch wirkendes Beton-Getto entstanden, bei dessen Anblick einem das pure Grauen kommt. Jedweder Individualismus und Anspruch an möglichst „artgerechtes“ städtisches Wohnen wurde hier zugunsten der gewinnversprechenden Schaffung möglichst zahlreichen neuen Wohnraumes über Bord geworfen. Wann immer ich hier langgehe, wünsche ich mir fast schon die Russenkasernen zurück, die hier einst standen. Selbst da gab es noch mehr Grün und noch mehr Ursprünglichkeit an diesem Ort. Ich kann nicht verstehen, dass Menschen allen Ernstes Hunderttausende von Euro auszugeben bereit sind, um am Ende in solch einem sterilen und ausgesprochen anonymen Silo zu wohnen. Und ein Ende dieser Verschandelung und schrittweisen Versiegelung meiner Neustadt in diesem ökologisch sensiblen Gebiet am Übergang zur Dresdner Heide ist längst nicht in Sicht: Der 3. Bauabschnitt läuft, und die Betonfront zwischen Alaunplatz und Heide wächst. Und doch ist dieses gigantische für die Gesamtentwicklung der Äußeren Neustadt symptomatische Projekt irgendwie schon fast wieder konsequent.
Warum Wohnraum hier immer noch so gefragt ist, erschließt sich mir nicht. Die Neustadt ist laut, dreckig, teuer, dennoch übervölkert und dadurch mittlerweile kaum noch grün oder gar idyllisch. Trotzdem scheint es irgendwie „hip“, hier zu wohnen. Seinen Latte Macchiato im Staub am Straßenrand inmitten von Trauben von Fußgängern und Radfahrern zu trinken, morgens durch vollgepullerte Hauseingänge zu laufen und vor der Haustür in Hundehaufen und Dönerleichen zu treten. Offenbar verströmt die Aussicht darauf, nachts vor lauter Krawall in den kneipengesäumten Straßen und Biergärten nicht schlafen zu können oder abends ab 7 wegen all der Essens- und Partygäste trotz Anwohnerausweises zwischen Bautzner, Königsbrücker, Prießnitz und Bischofsweg keinen Parkplatz mehr zu finden, für viele doch einen besonderen Reiz. Die Nachfrage ist so groß, dass selbst alte abgewohnte Buden ohne jeden Reiz für 9 Euro kalt pro Quadratmeter weggehen.
Mich als „Alteingesessene“, die die Flucht aus diesem Viertel während der 80er-Jahre und die damit einhergehende Entvölkerung miterlebte, hat diese Entwicklung mehr und mehr entfremdet. Ich sage es ganz ehrlich: Hier zu wohnen ist zur Qual geworden. Selbst jetzt, an einem Samstagmittag, herrscht draußen trotz Lage im Hinterhaus keine Ruhe. Auf dem Spielplatz zwei Häuser weiter kreischen die Kinder (und das sollen sie auch dürfen), unter dem Balkon bläst und rotiert geräuschvoll die vor ein paar Jahren aufgemotzte Klimaanlage des Restaurants im Vorderhaus nebenan. Irgendwo saugt jemand. Wenn der fertig ist, wird irgendein anderer im Block laut Musik anstellen, Löcher in Wände bohren, öffentlich schief singen und Gitarre spielen oder sich angeregt unterhalten. Niemals ist man hier für sich. Beim Frühstück auf dem Balkon hat man das Gefühl, von Dutzenden Augenpaaren hinter Gardinen und Jalousien im Vorderhaus beobachtet zu werden. Der Blick aus dem Fenster fällt auf die schmucklose Rückfront des Vorderhauses, keine 20 Meter entfernt. Und doch könnte man hier, am „Assi-Eck“, im Vorderhaus gar nicht wohnen.
Ehe hier der Eindruck entsteht, ich sei ein eigenbrötlerischer Soziopath – ich mag das quirlige leben in der Neustadt durchaus, sonst hätte ich nicht so lange hier gewohnt. Auch ich gehe gerne mal in die Kneipe, setze mich in den Biergarten oder mit Freunden in den Hof zum Grillen. Ich mag auch das vielfältige kulturelle Angebot hier. Aber ich möchte selbst entscheiden können, WANN ich das tue oder nutze. Wenn man in der Neustadt wohnt, hat man aber allzu oft gar keine Wahl. Wenn draußen, in der Disco oder in der WG nebenan gefeiert wird, dann muss man eben mitfeiern oder man sitzt schlaflos auf der Bettkante und beißt sich in die Faust. Friss oder stirb. Und Leute, die gern die Sau rauslassen, trifft man nun mal in der Neustadt überdurchschnittlich häufig an. Leute, die nicht hier mittendrin wohnen, sondern nur gerne nach Feierabend zum Chillen oder am Wochenende zum Ausgehen hierherkommen, können solch eine Denkweise oft nicht nachvollziehen. Ist doch alles super toll in der Neuse, die Biergärten und die Innenhöfe sind doch schön grün, und dann noch der Alaunplatz… und überhaupt, ist die Neustadt doch nun mal ein Partyviertel.
Fast 300 Jahre lang war die Äußere Neustadt ein reines Arbeiterwohnviertel. zum Vergnügungsviertel mutierte es dagegen erst in den letzten 15 bis 20 Jahren und das unter zunehmender Ausgrenzung der nach wie vor hier wohnhaften Bevölkerung. Nicht mehr sie bestimmt das sich ansiedelnde Gewerbe, sondern umgekehrt. Das Gewerbe entscheidet über das Klientel, das hierherkommt und auch -zieht. In den letzten sechs, sieben Jahren habe ich dreimal gegen permanente nächtliche Ruhestörung in bzw. im direkten Umfeld meines Wohnhauses ankämpfen müssen. Immer ging das Ganze von jemand anderem aus. Einmal war’s die Disco, die ohne Genehmigung einen überirdischen Dancefloor eingebaut hatte, der dreimal wöchentlich nachts die Wände wackeln ließ. Ein andermal der Typ über mir, der jede Nacht bei voller Lautstärke Egoshooter zockte. Nun sind es die Mieter unter mir, die nachts von Arbeit heimkommen und Remmidemmi machen. Irgendwann hat man’s einfach nur noch satt.
Leben in der Neustadt heißt heute eigentlich leben im permanenten Ausnahmezustand. Allgemein anerkannte Regeln sind hier allzu oft nichts wert. Wer meckert, hupt oder nachts schlafen will, ist ein Spießer und gehört nicht dazu. Wer Anwohner-Parkzonen fordert, hat ruckzuck die Gastronomen zum Feind. Aber wehe, man wagt es, sich zur BRN an den falschen Biertisch vor dem falschen Lokal zu setzen – da wird dann vehement auf das Einhalten von Regeln gepocht. Die Neustadt ist für mich zum Inbegriff eines verlogenen und fast schon künstlich kultivierten Lifestyles geworden: Mit der vermeintlichen kulturellen Vielfalt und Offenheit macht man glänzende Profite, aber im Grunde halten viele hier von alledem eigentlich gar nichts, sobald es über die eigene Freiheit hinausgeht. Ich werfe gewiss nicht alle in einen Topf. Das wäre vermessen und ungerecht. Es gibt sie, die Kümmerer, die Aktiven und Kreativen, die dazu beitragen, dass dieses Viertel zumindest streckenweise seinen Charme behält. Aber sie treten zurück hinter die Erfahrungen, die ich in den letzten Jahren hier gemacht habe. Freunde und Bekannte, die früher hier wohnten, sind längst weggezogen. Sicher auch, weil man einfach älter wird und insbesondere die Toleranzschwelle bezüglich Lärm, Dreck und ungehobeltem Benehmen sinkt.
Nun folge ich diesem Beispiel. Der bloße Gedanke daran, künftig in einem Haus am Stadtrand, mit gewachsener Mieterstruktur und geringer Fluktuation, guter Luft, viel Grün ringsherum und ohne Disco und Biergärten direkt nebenan zu wohnen, lässt mich aufatmen.
Wegziehen heißt ja nicht nicht wiederkommen. Ich werde gern ab und zu zurückkehren – wenn mir nach Feiern, Trubel, Alternativem und Verrücktem ist. In der Neustadt stand meine Wiege, hier wird immer meine Heimat sein. Aber wenn die Heimat beginnt, einem nicht mehr gutzutun, einen auffrisst, dann sollte man auf gesunde Distanz gehen.
Blumen für einen Fremden.
Für Karl vom Wege. Meinen Großvater, der am morgigen 15. Mai 100 Jahre alt geworden wäre.
Gekannt habe ich dich nur aus den Geschichten, die mir meine Mutter erzählte. Groß, stattlich, streng, aber liebevoll sollst du gewesen sein. Ganz so, wie man sich seinen Opa wünscht. Ich hatte nie einen. Wärest du mir einer gewesen? Kennenlernen durfte ich dich nicht. Zehn Jahre, bevor ich das Licht der Welt erblickte, verließest du sie schon wieder, mit gerade mal 53. Schmerzliche Lücken hast du hinterlassen, Narben. Bis heute. Dein furchtbarer Tod ist für mich bis heute ein ebensolches Mysterium wie deine Persönlichkeit. Ähnlich soll ich dir sein, sagt man. Weniger äußerlich, mehr innerlich. Und doch weiß ich nicht, ob mich das freuen soll. Wer warst du? Der Polizist? Der Parteigänger, der es bis in höchste politische Kreise des SED-Regimes schaffte? Oder doch der Idealist, der Träumer, der Visionär, der irgendwann erkannte, in welche finsteren Abgründe der Traum von Gleichheit und Gerechtigkeit im realen Sozialismus abgeglitten war?
Eines Tages werde ich die Wahrheit kennen. Wenn auch noch so viele Spuren verwischt sind.
Flieder, heißt es, waren deine Lieblingsblumen. Immer an deinem Geburtstag begann er zu blühen. Es ist ein gutes Jahr. Seit Langem eines, in dem der Flieder an deinem Geburtstag nicht fast schon wieder verblüht ist. Die Welt hat sich weitergedreht.
Befremdende Republik Neustadt
Die BRN ist einfach nur noch eine laute, schmutzige Pflichtveranstaltung, die man über weite Strecken getrost abblasen könnte. Wirklich sehens- und erlebenswerte Programme konzentrieren sich auf einige wenige Straßenzüge zwischen Prießnitzstraße und Martin-Luther-Platz. Diese Entwicklung zeichnet sich schon seit Jahren ab. Handlungsbedarf sieht man bei den Veranstaltern offenbar trotzdem nicht.
Was meine ich mit Handlungsbedarf? Ich glaube, dass die BRN gerade als ideelles Gebilde seit Jahren tot ist. Sie, oder besser gesagt ihr politischer und kultureller Kern, lebt nur noch in einem kleinen Kreis wackerer Fürstreiter aus Gründerzeiten. Was da drei Tage lang auf den Straßen der Neustadt tobt, hat nur noch punktuell und zu einem sehr geringen Anteil etwas mit dem Gründungsgedanken von 1990 zu tun. Stattdessen regiert aller Orten der Kommerz. Die BRN ist über weite Strecken zu einer Profitschlacht der Gewerbetreibenden geworden. Gemeinschaftssinn, Nachbarschaftlichkeit und die sarkastische Auseinandersetzung mit Politik sind völlig dahinter zurückgetreten. Und das ist verdammt schade. Und das Schlimmste: Es setzt sich als bleibender muffiger Beisgeschmack fest und überstrahlt die redlichen Bemühungen vieler Anwohner, dieses gastliche, gemeinschaftlich-gutnachbarschaftliche Element am Leben zu halten.

Beispiel gefällig? Mit einer Freundin schlenderte ich am Sonntag über die BRN vor meiner Haustüre. In der Louisenstraße entschieden wir uns für ein Schüsselchen asiatisches Essen, und weil es gerade anfing, zu tröpfeln, setzten wir uns mit dem Essen gegenüber dem Stand auf eine Bank unter einem Bierzelt vor dem „Kalten Hund“ – einem Café, in dem ich schon des Öfteren zu Gast war. Dort standen vielleicht fünf, sechs Biertischgarnituren. Fast alle Plätze waren leer, da es erst Mittag war, und im „Kalten Hund“ vor allem Kaffee getrunken wird. Nur zwei andere Gäste waren da. Wir saßen kaum, da kam auch schon eine junge Kellnerin angeschossen: „Was kann ich Ihnen bringen“? Wir, fast schon entschuldigend: „Oh, wir wollten uns nur kurz setzen und essen“. Darauf sie: „Hm, also das geht aber eigentlich nicht, weil die Bänke zum ‚Kalten Hund‘ gehören“. Wir wechseln einen irritierten Blick. „Aber hier ist doch alles frei, und wenn wir jemandem im Wege sein sollten, stehen wir sofort auf und gehen weiter.“ Sie drückte ein Auge zu und ging. Eine Minute später der nächste Kellner, diesmal ein feminin wirkender junger Mann. „Was darf ich Ihnen bringen“? Wir spulten unseren Rechtfertigungsvers erneut ab. Derweile wurde das Essen langsam kalt. Im Gegensatz zu seiner jungen Kollegin blieb der blondierte Jüngling hart: „Nein, das geht nicht, Sie können hier nicht sitzen, ohne etwas zu bestellen, denn wir sind schließlich ein Café.“ Darauf meine Freundin: „Sie meinen also, es könnte andere potenzielle Gäste abhalten, wenn sie uns hier sitzen sehen..?“ Darauf er: „Wenn Sie wenigstens etwas kleines bestellen, aber nur mit dem anderen Essen hier, das geht nicht.“
MEIN Laden, MEINE Biertische, MEIN Geschäft. Wer kein Geld da lässt, ist nicht willkommen. Nicht mal für fünf Minuten. Bei so viel Ungastlichkeit sind wir schließlich entnervt aufgestanden und gegangen. Unser Essen löffelten wir im Gehen. Im „Kalten Hund“ werde ich nun nicht mehr einkehren. Sorry, Stefan, aber das hast du Herrchen und/oder Frauchen zu verdanken. Wer nicht einmal zur BRN Besitzdenken, Eigennutz und Profitgier ablegen und einfach mal offen, freundlich, zuvorkommend und einladend wirken kann, der hat den Geist der einst so „Bunten Republik“ nicht verstanden und er trägt – schlimmer noch – zum weiteren rasanten Verfall desselben bei.
Wir haben uns nach dieser Episode in Richtung Sebnitzer und Talstraße zurückgezogen – der einzigen Ecke in der Bunten Republik Neustadt, die offenbar noch nicht von der raubtierkapitalistischen Konterrevolution übermannt wurde. Hier kann man sich noch ohne Angst an einem der vielen Tische fallen lassen, bekommt Kuchen und Waffeln soviel man will für eine Spende und wird von niemandem blöd angemacht, weil man sich auf eine Bank oder einen Stuhl setzt, der einem nicht gehört. Hier ist die BRN großteils noch die BRN: Kinder musizieren am Straßenrand – und zwar ohne vom nächsten Gettoblaster auf dem Balkon obendrüber überschallt zu werden, auf der Straße wird Lindyhop oder Polka getanzt, und das Beste: Man kann sich unterhalten und schlendern, statt halb zerquetscht oder vom sich überlagernden Bassgedröhn der Bühnen und DJ-Stände fast taub zu werden.
Ich glaube, die BRN braucht mal ein paar Jahre Pause. Eine kreative Denkpause, sozusagen. Zwei, drei Jahre ohne Straßenfest könnten helfen, alte eingefahrene Muster zu durchbrechen. Die BRN muss endlich wieder die BRN werden: Kreativität und Politkritik müssen wieder vor Kommerz gehen und nicht umgekehrt. Die BRN heute ist in erster Linie ein Fest für Händler, Gewerbetreibende und Feierwütige, weniger für die Neustädter (also die eigentlichen Bewohner der Bunten Republik), die häufig genug unter all dem geballten Lärm, den Menschenmassen und dem Dreck, den sie hinterlassen, leiden.
Es muss ein neues Konzept her, das die BRN wieder liebenswert, schrullig und intelligent macht. Statt Trunkenbolde, die ihren jugendlichen Bewegungsdrang ausleben oder sich einfach nur die Kante geben wollen, sollte das Programm wieder mehr kulturell Interessierte und Familien anziehen. Das geht da los, dass man außerhalb der Talstraße oder des Martin-Luter-Platzes fast nirgendwo mehr Angebote für Kinder findet. Louisen-, Alaun- und Görlitzer Straße verkommen zu reinen Party- und Fressmeilen. In engen Straßen wie Alaun- oder Louisenstraße sollten zudem keine Bühnen stehen – es ist einfach kein Platz dafür! Wo ist denn bitte der Genuss, wenn man sich fünf Minuten lang über 20 Meter durch schwitzende Menschenleiber kämpfen muss, die am Asi-Eck dicht an dicht vor zwei Bühnen und drei Sauf-/Fressständen stehen? Überhaupt muss es weniger Fress- und Saufstände geben, die mittlerweile gefühlte 80 Prozent des Angebots auf den Straßen stellen. Fast erweckt es den Anschein als seien Sinn und der Zweck eines BRN-Besuches auf ein fettes Schnitzel oder ne Bratwurst vom Grill und ein kühles Blondes zusammengeschrumpft.
Stattdessen bin ich für kleinere kulinarische „Oasen“, wo dann eben mal zwei, drei Buden beisammen stehen, wo aber andere Angebote von dem Andrang dort nicht behindert werden. Es muss eben nicht jeder Döner und jedes Restaurant seine Küche auch noch nach draußen verlagern. Dann bliebe auch mehr Raum für andere, kreative Angebote. Gerade auch die privaten Initiativen der Anwohner sollten wieder mehr gestärkt werden – das erreicht man aber nicht, indem man den kommerziellen Anbietern das Feld überlässt.
Ja, ich weiß, die BRN lebt auch von den Standgebühren. Und genau das sollte sich ändern, wie ich finde. Zum Beispiel, indem Anrainer und Gerwerbetreibende und auch die Stadt das Fest finanziell absichern. Das mag vielleicht naiv klingen. Aber es funktioniert an anderer Stelle auch. Und wenn es heißen würde, dass sich die BRN verkleinern müsste, dann wäre das ein Preis, den ich ohne Weiteres bereit wäre, in Kauf zu nehmen. Im Übrigen würde ein moderater Eintritt (und wenn es nur drei oder vier Euro wären) vielleicht schon helfen, diese unsäglichen Massen etwas runterzuregeln, die hier alljährlich drei Tage lang in die Neustadt einfallen. Leute – es macht einfach keinen Spaß mehr.
Und wenn dann noch die wenigen wirklich einmaligen, originellen Projekte, wie etwa der Lustgarten, derart von der Stadt demontiert und boykottiert werden, wie es in diesem Jahr der Fall war, dann möchte man eigentlich nur noch, dass dieser Krampf endlich aufhört. Im Lustgarten schlug für mich viele Jahre lang so etwas wie das Herz der BRN. Hier gab es keine Langos-Buden und Wernesgrüner-Kampfsaufwagen. Stattdessen gab es Ponys, Bogenschießen, Yoga-Lounges und Lagerfeuer. Es war ein Ort zum Entspannen und Aktiv werden abseits der Straßen, nie überfüllt, nie laut, nie kommerziell. Wenn solche Projekte sterben, stirbt mit ihnen die BRN. Und mittlerweile bin ich auch bereit, sie sterben zu lassen – zumindest vorübergehend, bis zu ihrer grandiosen Wiedergeburt. Und sei es, dass ein neuer Lustgarten die kleine Keimzelle wird, aus der eine neue, alte BRN ersteht. Mein schönstes BRN-Erlebnis war – und das dürfte wenig verwundern – entsprechend der Besuch des BRN-Museums im Stadtteilzentrum. Es war viel Wehmut dabei. Aber auch ein Gefühl von heimkommen.
P.S.: Wem meine Einzelmeinung überzogen und nicht repräsentativ scheint, dem lege ich auch die Eindrücke des Dresdner Bloggerkollegen Pierre Wilschek ans Herz, die ich nur bestätigen kann.
Update:
Wie mittlerweile über die Mopo und auch das Neustadtgeflüster bekannt wurde, denkt die Schwafelrunde, die die BRN seit 2011 veranstaltet, offenbar tatsächlich über eine Auszeit nach. Demnach will man ein „Sabbatjahr“ einlegen und das Konzept der BRN grundlegend überdenken. Als Auslöser für die Offensive führte man heute auf der Abschluss-Pressekonferenz in etwa die gleichen Gründe an, die ich in meinem Beitrag und die auch viele andere Kritiker häufig anführen: Kulturabbau, zu viel Kommerz, zu wenig Platz. Ich möchte noch einmal betonen, dass ich von der Pressekonferenz und die dort besprochenen Inhalte erst nach Erscheinen meines Artikels gegen ca. 17.15 Uhr erfahren habe – über das Neustadtgeflüster.
Ouvertüre zu etwas Unvollendetem
… oder doch einfach nur für einen weiteren, lausigen Selbsterfahrungstrip einer vergangenheitsbewegten Schreiberin. Es sind tatsächlich die ersten Zeilen zu etwas, das irgendwann einmal ein Buch werden soll.
Die Daunen raschelten. Das Federbett lastete auf Martha wie die Schneemassen einer Lawine. Dick und schwer. Ja, so ähnlich musste das sein, wenn man beraben war. Nur, dass ihr jetzt in diesem Moment angenehm warm war. Jeder Atemzug verursachte jenes knirschende Rascheln der nachgebenden Federn im Ohr, als stapfe jemand direkt neben ihrem Kopf durch tiefen Schnee.
Der Schlaf hatte Martha soeben ausgespuckt wie einen sauren Kaugummi und in Wellen an den Strand des Erwachens gespült. Etwas hatte sie durch die durchlässiger werdende Membran erreicht, ein Laut. Kein menschlicher, eher tierischer Natur, wohlbekannt und doch schien er ihr selbst im Halbschlaf irgendwie surreal. Sie blinzelte in Erwartung von Sonnenlicht. Doch dort, wo sie das Fenster vermutete, war Dunkelheit. Müde tastete sie sich zurück in Richtung Schlaf, in Richtung Schwerelosigkeit.
Da war es schon wieder! Und diesmal war es eindeutig. Sie traute ihren Ohren kaum und lauschte über die stapfenden Schritte im Schnee hinaus. Mitten in der hochurbanen Dresdner Neustadt, wo sich Häuserschlucht an Häuserschlucht reihte, krähte im Dunkel des milden Dezembermorgens ein Hahn.
Sie brauchte einige Sekunden, um völlig wach zu werden und sich zu sortieren. Richtig. Das Fenster war jetzt links statt wie früher rechts neben ihrem Bett. Veränderungen gehörten wohl zu einem Neuanfang. Ausgerechnet hier aber vom morgendlichen Hahnenschrei geweckt zu werden, hatte etwas Skurriles, fast schon etwas Zynisches. Schließlich war sie hierher zurückgekehrt, weil sie dem spießbürgerlichen Korsett der gediegenen Münchner Vorort-Reihenhaussiedlung und der ländlichen Trägheit entkommen und endlich wieder Leben hatte spüren wollen.
Sie ließ den Kopf schwer zurück in die Kissen sinken. Der Rücken schmerzte vom vortäglichen Kistenschleppen und Schränke die Treppe Raufwuchten. Ihr neues Domizil verfügte über keinen Fahrstuhl, und mehr denn je wurde ihr klar, dass sie straff auf die 50 zu marschierte.
Eine halbe Stunde später stand sie gedankenverloren am Wohnzimmerfenster, die Hände empfangend um den warmen Bauch der Teetasse gelegt. Früher wäre es Kaffee gewesen. Heute hatte sie wie selbstverständlich zur Teedose gegriffen. Sie lächelte sinnend vor sich hin. Eine Frau Ende 40, schlank, fast schmal. Fältchen umspielten große, dunkle Augen, die wenig von jener Ferne verloren hatten, die so manchen Mann magisch angezogen hatte. Das dunkle Haar hatte sie gerade erst auf Kinnlänge gekürzt. Mittlerweile wusste sie die Vorteile einer guten Coloration zu schätzen. Sie warf den Schopf mit lässigem Schwung zurück – und liebte es, wie die Strähnen ihren natürlichen Anlagen folgend zurückfielen und ihr Gesicht streichelten.
Ihr Blick glitt über die verwaschenen Fronten des Vorderhauses und versickerte im winzigen, düsteren Innenhof. Ein trister Anblick, trotz der frischen Farbe an der Fassade, und nicht im Mindesten vergleichbar mit dem Panorama der freien Felder und des nahen Waldes, das jahrelang in Bayern vor dem Fenster gestanden hatte. Doch genau so hatte es Martha gewollt. Sie hatte die verwunschenen, verfallenen Ansichten der Kindheit wiederfinden wollen. Sie hatte sie verloren, damals, auf der Flucht aus einem Land, das plötzlich nur noch „der Osten“, wo alles nur noch unwahr, zweitklassig und trist war. Eine Heimat – gebraucht und abgelegt, von Menschen, die – vom furiosen Wende-Rausch erschöpft – von völlig neuen Sorgen gebeugt liefen und auf den ersten Blick von denen zu unterscheiden waren, die von „drüben“ herüberkamen, um sich anzueignen, was hier mangels konkurrenzfähiger Technik niemandem mehr nutzte. Grau und trostlos hatte sie das Damals empfunden. Wir hier und „die drüben“, so war das gewesen. Und manchmal war es noch heute so. […]
Die Welt auf Standby.
Analysen dessen, was in den vergangenen Tagen geschehen ist, fallen schwer. Sie sollten zumindest schwerfallen, angesichts der Erschütterungen, die die Welt zuletzt erfahren hat. Vielleicht wäre kollektives Schweigen, eine heilsame Stille, jetzt am angebrachtesten. Doch die Welt schweigt nicht. Sie heilt nicht. Sie wütet. Sie hasst. Sie lächzt nach Rache. Statt um Fassung ringt sie um einen undefinierbaren Sieg. Statt Trauer, Innehalten, Reflexion – Jetzt erst recht.
In dem Aufruhr nach dem Anschlag geht die Sehschärfe verloren, Konturen verwischen und damit auch der Blick auf das Ganze, über den eigenen Tellerrand hinaus. Dorthin, wo Leid und Tod Alltag sind und nicht nur alle paar Jahre auf verstörende Weise über friedens- und wohlstandsverwöhnte Gesellschaften hereinbrechen.
2000 Menschen sind in Nigeria in der letzten Woche bei einem Terroranschlag der Boko-Haram niedergemetzelt worden. Deren Divisionen des Schreckens rekrutieren sich aus Muslimen. Aber auch aus Tausenden erwachsen gewordener Kindersoldaten, die in den Bürgerkriegen Afrikas ihre Familien und ihre Kindheit verloren und zu seelenlosen Zombies wurden. Kriege, die von europäischen Mächten häufig indirekt befeuert oder mit Waffen unterstützt wurden. Was tut Europa angesichts Tausender, ausgelöscht an einem Tag? Es bringt Millionen auf die Straße – aber ihre Trauer, ihre Wut und ihr Entsetzen bleiben den 16 französischen Terroropfern vorbehalten. Man braucht die Kraft. Zum Beispiel, um die Millionenauflage jenes Blattes am heutigen Tag zu preisen, das mit seinen unappetitlichen Karikaturen keine Gelegenheit auslässt, Hass zu schüren, Konflikte zu vertiefen, ohne Blick für die wahren Probleme, die wahren Ursachen bestimmter Phänomene – eigentlich ein unverkennbares Markenzeichen seriöser, konstruktiver Satire. Jetzt erst recht. Statt mutiger Ausbrecher – nur Lemminge, die sich in die Masse flüchten und nicht sehen, dass sie gemeinsam auf den Abgrund zusteuern.
Als die Mauern fielen
Am 9. November 1989 wurden die Menschen im Osten Deutschlands zum zweiten Mal in den vergangenen 50 Jahren befreit. Am 8. Mai 1945 stieß die Sowjetarmee in blutigen, opferreichen Schlachten die faschistische Schreckensdikatur Hitlers vom Sockel. 44 Jahre später rissen mutige Menschen jene Mauer nieder, die die Befreier von damals in Auftrag gegeben hatten, um die Massenfluchten zu verhindern, die insetzten, als klar geworden war, dass man von einer in die nächste Willkürherrschaft geraten war. Nur unter umgekehrten Vorzeichen.
25 Jahre später übertragen Fernsehsender live schwülstige Gedenkveranstaltungen aus Berlin. Als wären Erinnerung und Würdigung mit einem demonstrativen Händedruck, blumigen Reden und selbst verordneter Betroffenheit am Jubiläumstag getan. Sie sind es nicht. Zumal sich vor den Kameras ohnehin meist solche produzieren, die heute das Sagen haben. Nicht jene, die damals an der Mauer standen oder zuvor wochenlang auf die Straßen gingen. Die Freiheit, die die Menschen im Osten damals errangen, sie musste in den letzten 25 Jahren immer wieder aufs Neue verteidigt und eingefordert werden. Sei es im Zuge der mit der Wende eintretenden Massenarbeitslosigkeit, die dazu führe, dass viele Menschen trotz neuer Freiheit arm waren und diese Freiheit oft gar nicht nutzen konnten. Sei es bei politischer Beteiligung, den Löhnen oder in der Wahrnemung der Westdeutschen. Erinnerung sollte also auch immer mit der Mahnung verbunden sein, die Schattenseiten der überstürzten Wiedervereinigung nicht zu vergessen. Die „blühenden Landschaften“, die Helmut Kohl 1990 dem Osten versprach, sie sind längst nicht überall bis heute auch eingetreten, und wo sie tatsächlich erblüht sind, drängen sie allzu häufig reale soziale Probleme an den Rand der Städte und damit aus dem Blickfeld.

Wenig Grund also zur öffentlichen Beweihräucherung. Und doch ist es Zeit für Dankbarkeit. Dankbarkeit dafür, dass mutige Menschen überhaupt damals die Grundlage schufen, dass Deutschland wiedervereint sein, auseinandergerissene Familien wieder zueinanderfinden konnten. Dankbarkeit dafür, dass jeder in Deutschland heute seines eigenen Glückes Schmied ist. Auch wenn dieses Glück längst nicht für jeden gleichsam einfach zu erreichen ist. Die soziale Schere klafft in einem kapitalistischen System für gewöhnlich weit. Und gerade jene, die mit Reichtum und Glück besonders gesegnet sind, verschließen ihre Augen und Herzen vor dem Unglück und der Armut anderer häufig am meisten. Es ist eine jener Schattenseiten der Wiedervereinigung, zumindest für die Ostdeutsche Seite.
Der 9. November sollte Anlass zur Einkehr sein. Was tat ich damals? Wo war ich? Wie sah mein Leben aus und wie ist es heute? Als am 9. November 1989 die Mauer fiel, holten mich meine Eltern abends aus dem Bett vor den Fernseher. Und da saß die Familie in einem Plattenbau in Dresden-Gorbitz, in den wir sieben Monate zuvor eingezogen waren, und schaute zu, wie ihr bisheriges Leben 200 Kilometer entfernt komplett auf den Kopf gestellt wurde. Ich war knapp elf Jahre alt und besuchte die fünfte Klasse einer Schule, die direkt gegenüber lag.
Nirgendwo war Unfreiheit so sehr greifbar geworden wie hier. Zumindest für mich, das Neustadt-Kind, das zwischen Alaunplatz, Elbe und Prießnitzgrund aufgewachsen und in Nullkommanichts im Kulturhaus, im Kino, im Museum, auf der Straße der Befreiung (heute Hauptstraße) oder auf dem Spielplatz war. Anders hier oben. Jedes Gebäude, jeder Straßenzug – alles sah gleich aus. Eine Stadt aus Beton inmitten einer Schlammwüste, zwischen Bergen aus Bauschutt. Zum nächsten Geschäft (einer Kaufhalle) musste man drei Stationen mit der Straßenbahn fahren. Einen Spielplatz gab es nicht. Das nächste Kino – eine halbe Stunde Fahrt entfernt. Sogar den nächsten Baum musste man anfangs lange suchen. Und doch gab es gerade hier ausgesprochen viele ehemalige Neustadt-Kinder wie mich. Ob sie alle auch so sehr litten wie ich, ist schwer zu sagen.
Selbst in der Neustadt, mit ihren niemals enden wollenden Kasernenmauern, den Sperrgebieten, dem Stacheldraht und den Verbotsschildern, den patrouillierenden bewaffneten Soldaten mit dem roten Stern auf den Mützen, war ich nach meinem heutigen Empfinden nicht so unfrei gewesen. Hier war jedes Haus anders. Hatte andere Türen, andere Fenster, mal Balkone, mal wieder nicht. Sie waren hoch oder niederig, halbwegs bewohnbar oder ruinös. Aber: Sie waren alle unterschiedlich. Jedes einzelne individuell. Und genauso waren die Menschen, die in ihnen lebten. Es war ein schönes Leben hier. Trotzdem freute ich mich, als es im April 1989 hieß: Wir ziehen nach Gorbitz, in eine Wohnung mit Vollbad, Elektroherd und eigenen Zimmern für beide Kinder. Es war die naive Freude eines heranwachsenden Kindes, das sich nach Abenteuer sehnte und nach Privatsphäre.
Trotz der Tristesse in der Gorbitzer Einöde empfand ich den Mauerfall nicht als Befreiung, sondern als Fremdkörper, der auf Distanz blieb und gar nicht greifbar wurde. Auch weil sich an meinem täglichen Leben hier am Rande der Zivilisation zunächst wenig änderte. Ich ging weiter zur Schule. Ich aß. Ich schlief. Ich spielte. Während die Mauer in Berlin zerhackstückt wurde, bauten sie hier in Gorbitz immer neue Mauern auf. Lärmschutzwände entlang der neuen Ausfallstraße nach Pennrich. Ein neues Einkaufszentrum. Ein neuer Straßenbahnhof. Noch im November 1989 hieß es dann: Wir fahren nach Westberlin. Einkaufen. Am Schalter für das Begrüßungsgeld warteten wir Stunden. Der Anblick des Überflusses „drüben“ erschlug mich beinahe. Wie Zombies wandelten wir durch die Hochglanzstraßen, über den Kurfürstendamm, wo wir selbst mit Begrüßungsgeld nur die Nasen an den Schaufenstern plattdrücken konnten. Als wir spät abends wieder über den Grenzübergang Friedrichstraße liefen, war ich wie benommen. Was wir schließlich eingekauft hatten, weiß ich heute gar nicht mehr. Irgendwas. Wir Kinder waren unfähig gewesen, irgendwelche Wünsche zu formulieren in all der Reizüberflutung.
Silvester 1989 feierten wir ganz normal daheim. Im Laufe des Jahres 1990 wurden die Veränderungen dann doch langsam spürbar. Sie äußerten sich darin, dass plötzlich andere Lehrbücher bzw. behelfsweise „Zusatzmaterialien“ ausgegeben wurden. Was man uns bis dato beigebracht hatte – es war plötzlich alles nicht mehr richtig. Die üblichen sozialistischen Grüße zu Stundenbeginn fielen weg – was von uns Schülern im Allgemeinen mit Erleichterung registriert wurde. Im September 1989 hatte ich noch mein rotes Halstuch der Thälmannpioniere bekommen. Nun verstaubte es im Schrank. Mit elf Jahren und am Vorabend der Pubertät stehend, stand für mich plötzlich mein ganzes bisheriges Leben, alles das, was mir bis dato an Werten vermittelt, als falsch und richtig beigebracht worden war, infrage.
Die D-Mark kam. Das alte Geld war plötzlich nichts mehr wert. Früher hatten mir meine Eltern immer gepredigt: Kind, halt dein Geld zusammen, spare! Nun hieß es: Alles bis dann und dann ausgeben, danach bekommst du dafür nichts mehr. Ganze Familien verloren die Hälfte ihrer Ersparnisse. Es begann ein schmerzhafter Prozess für einen jungen Menschen, der von allem, was da passierte, noch so gut wie nichts verstand, und der viel mit Identitätsverlust und Identitätssuche zu tun hatte. Vielleicht, ja sehr wahrscheinlich sogar, wäre vieles einfacher gewesen, hätte ich nicht derart abgeschieden gelebt hätte, in einem Mikrokosmos noch zu DDR-Zeiten Privilegierter. Denn nur als solcher bekam man in aller Regel eine Wohnung im „modernen Neubau“. Auch meine Familie gehörte dazu, mit einem Vater, der jahrelang an der Erdgastrasse geschuftet hatte. Hier hoch in die städtische Frischluftzone schafften es revolutionärer Geist und Aufbruchsstimmung erst ganz zuletzt. Dass neue Zeiten Einzug gehalten hatten, sah man allerhöchstens an den VWs und Opels, die plötzlich vor dem Haus die Trabis und Wartburgs verdrängten.
Und doch bin ich heute, als Erwachsene, froh, dass es so gekommen ist, wie es damals kam. Als ich es 1999 in Gorbitz, das nach der Wende zum Synonym des sozialen Abstiegs und des Scheiterns im neuen System wurde, einfach nicht mehr aushielt, konnte ich mir eine Wohnung suchen und in die Neustadt zurückkehren. Etwas, das zu DDR-Zeiten so niemals ohne Weiteres möglich gewesen wäre. Als ich in der Neustadt ankam, waren die bewaffneten Soldaten verschwunden. Jahrelang war das Militär in meiner Kinderzeit mein ständiger Begleiter gewesen. Sein Gehen aber war in Gorbitz völlig an mir vorbeigegangen. Zum anderen waren ihm in Zwischenzeit vielerorts Mauern und Stacheldraht gefolgt. Es ist ein untrügliches Zeichen von Freiheit, heute überall hingehen zu können, selbst auf die ehemaligen militärischen Gelände, in die ehemaligen Kasernen, durch den Prießnitzgrund und die Dresdner Heide wandern, in den Bächen baden zu können – ohne Angst, ohne Gefahr für Leben und Gesundheit. Und nicht zuletzt hatten auch die Schinderei und der ideologische Stumpfsinn in den Kasernen ein Ende genommen.
Freiheit bedeutet deshalb heute für mich nicht zuletzt, die Verbotsschilder in wackeligem Deutsch auf den bröckelnden Resten der Kasernenmauern verblassen zu sehen. Sie waren unsere „Mauer“. Jahrzehntelang hatte man sie vor Augen. Und das Schlimmste war: Über ihre wahre Funktion hatte man uns, die Kinder, im Unklaren gelassen. Stattdessen hatte man uns belogen, uns erzählt, dass die Soldaten dahinter mit all ihren Waffen hier waren, um uns zu beschützen. Dass sie bis zum Quasi-Bankrott der Sowjetnion in den 80er-Jahren auf alles schossen, was sich organisiert gegen das System wandte, sogar auf ihre eigenen Leute, wurde verschwiegen. Wie viele Deutsche und sowjetische Soldaten vor und hinter den Kasernenmauern durch die Hand des Militärs starben, ist nicht bekannt. Es dürften Zigtausende gewesens ein. Ich werde nie vergessen, wie sich der Griff meiner Mutter um mein Handgelenk verstärkte und ihre Hand schweißnass wurde, wenn wir allein im Prießnitzgrund waren und uns ein Trupp Soldaten über den Weg lief. Das heute nicht mehr erfahren zu müssen, ist Freiheit. Freiheit, die am 9. November 1989 begann.
Im Reinen mit der Welt. Auf Streifzug durch sächsische Heidelandschaften.
In den letzten Jahren ist es mir immer häufiger passiert, dass ich mit einem friedvollen Lächeln im Gesicht und staunenden Augen wie Kind durch urwüchsige Naturlandschaften meiner sächsischen Heimat zog – und in dem Gesumm und Gezwitscher, im Farbenspiel der Blüten, Gräser und Sträucher der sächsischen Heidelandschaften völlig aufging. Wenn der Wind durch die dicht stehenden Halme streicht und dabei dieses leise Rascheln erzeugt, wenn er Blütenköpfe nicken lässt und ihnen die letzten morgendlichen Tautropfen entlockt, wenn die Schmetterlinge einen umgaukeln und scheinbar gar keine Furcht haben, wenn Rehe und Hirsche in einem Anflug ungestümen Schreckens direkt vor deinen Augen aus dem Unterholz brechen und 100 Meter weiter irritiert stehen bleiben, ehe sie mit weniger kapriziösen Sprüngen wieder im Dickicht verschwinden – dann bin ich im Reinen mit der Welt.

In den weiten Heidelandschaften, von denen Sachsen glücklicherweise noch vergleichsweise viele besitzt, bekommt man eine Ahnung davon, was Freiheit bedeutet, was es heißt, nicht hinter jedem Busch die Zivilisation zu erblicken. In den großflächigen Gebieten von Gohrisch-, Königsbrücker, Dübener, Oberlausitzer oder Muskauer Heide sind nicht nur Pflanzen- sondern auch Tierarten mittlerweile wieder heimisch, denen sonst über weite Strecken der Lebensraum abhanden gekommen ist. Wölfe, Luchse, Biber und sogar Elche kann man hier zwischenzeitlich wieder antreffen – stark bildlich gesprochen natürlich.

Im Juni und Juli hat die Heide ihre Leben voll entfaltet, wenngleich hier eigentlich immer – selbst im Winter – irgendetwas blüht. Doch jetzt sind die farbenprächtigen Blumen an der Reihe, die weithin leuchten, während viele andere typische Heidegewächse wie Gräser, Moose, Flechten und Stauden häufig eher unscheinbare Blüher sind. Dort draußen gibt es Pflanzen, von denen ich früher dachte, dass sie dafür gemacht worden waren, als Zierde an einem sonnigen Zimmerfenster zu stehen. Sie außerhalb eines Blumenladens zu finden, war eine überaus erfreuliche Entdeckung. Vom Spätsommer bis zum Herbst verwandelt sich die Heide dann in einen einzigen rosa- bis fuchsiafarbenen Teppich, wenn die Besenheide blüht, die weite Teile typischer Heidegebiete überzieht.
Fast ist es, als würden hier alle Zuflucht suchen, denen es in den urbanen Fluren zu hektisch, zu laut, zu schmutzig ist.








Bildrechte: Jane Jannke.
Geschichten vom Treppenrand. Teil I: Ein jeder ist seines Durstes Schmied.
Seit etwa zwei Monaten gibt es in meinem Leben ein neues Ritual. Rituale sind eigentlich was für schwache Menschen. Ich könnte jetzt unnötigerweise zu meiner Verteidigung sagen, dass ich meinem neuen Spleen viel zu unregelmäßig fröne, als dass man es wirklich ein Ritual nennen könnte. Aber egal. Das ist es wirklich, denn eigentlich würde ich sehr gern ein echtes Ritual draus machen. Die Rede ist von meinen abendlichen Ausflügen zur Radebeuler Spitzhaustreppe. 365 Stufen sollen es angeblich vom Goldenen Wagen bis hoch zum Spitzhaus sein. Nachgezählt hab ich das noch nie. Ich vertraue den Treppenbeschilderern einfach. Joggen ist nicht gut für meine Hüfte. In der Grundschule hatte ich jahrelang eine Teilsportbefreiung deswegen: Laufverbot.
Also grübelte ich angestrengt über einer Alternative, die zwar weniger gelenkbelastend, aber dennoch ähnlich effektiv ist. Fitnessstudio kam nicht infrage, an der frischen Luft wollte ich sein. Und so fiel mir während meines dreimonatigen Engagements für die Dresdner Neuesten Nachrichten in Radebeul die Spitzhaustreppe ins Auge. Die ist ohnehin mehr Laufsportspot als alles andere. Jedes Jahr quälen sich dort die ganz Fitten beim Spitzhaustreppenlauf den lieben langen Tag hoch und runter. Gut, so ambitioniert sind meine Ziele nicht. Aber immerhin: Treppensteigen ist nicht Joggen, man bewegt den ganzen Körper trotzdem – und das mit Abstand Beste am Treppensteigen an der Spitzhaustreppe ist: der Blick zurück! Zumindest beim Aufstieg. Wenn man endlich keuchend oben steht (zumindest geht mir das so) kommt man ganz schnell wieder zu Atem – weil man das Atmen schlicht vergisst ob des atemberaubenden Anblickes, der sich einem von hier oben aus bietet: Das ganze Elbtal liegt einem zu Füßen, ringsum die Girlanden der Rebstöcke, die sich wellenartig den Hang hinaufwickeln.
Heute war ich zum vierten Mal an der Spitzhaustreppe. Die Aufstiege dauern bei mir in der Regel entspannte fünf Minuten. Heute allerdings schaffte ich ihn auf ziemlich denkwürdige Weise in nicht mal vier Minuten. Wie das? Im ersten Anlauf brauchte ich noch 5.36 Minuten, im zweiten 5.17 Minuten. Nachdem ich wieder unten angekommen war, stellte ich allerdings fest, dass ich das Handy (meine Stoppuhr) oben am Weinbergshäuschen liegen gelassen hatte – und am Spitzhaus war ziemlich viel Betrieb. Es ist erstaunlich, welche Kräfte der alarmierende Gedanke daran auszulösen in der Lage ist, dass der flache, ständig pfeifende, klingelnde oder klimpernde Kasten plötzlich nicht mehr da sein könnte. Ein Szenario zum Nachdenklichwerden.
Der Sprint nach oben führte jedenfalls zu ausgesprochenen Erschöpfungszuständen. Immerhin: Das Handy lag noch dort, wo ich es hatte liegen lassen. Trotz der Erleichterung war ich fix und fertig. Hier machte sich nun der Flüssigkeitsmangel bemerkbar. Die Flasche Volvic CocoCabana, die ich dabei hatte, hätte ja eigentlich reichen sollen. Eigentlich. Wie so viele andere Läufer an der Treppe hatte ich die fast volle Flasche auf einer Sitzbank an einem der Rastplätze in der Mitte der Treppe deponiert. Als ich allerdings nach dem ersten Abstieg wieder nach oben trabte und nach meiner Flasche greifen wollte, hatte sich ihr Inhalt auf denkwürdige Weise auf etwa 1/6 des Inhaltes reduziert. Auf der steinernden Bank saß ein Pärchen.
Ich starrte erst auf die fast leere Flasche, dann auf das Pärchen, dann auf den Hund – eine mopsige, schnarchende französische Bulldogge – und dann wieder das Mädel an. Die beiden hatten den Inhalt meiner Flasche auf den Boden befördert, damit das gute Hundchen seine Erfrischung bekommt. Und so schlabberte die Dogge mein Volvic CocoCabana, das eigentlich meinen und nicht ihren Durst hätte löschen sollen. Nachdem ich Luft geholt hatte, schnarrte ich die beiden an: „Sagt mal, geht’s noch? Das war meine Flasche!“ Der Kerl – Typ California Surfer Boy – reichte mir die Flasche mit dem Wasserrest und meinte, als wäre es das normalste von der Welt: „Oh, das war deine Flasche? Soarrri. Aber es hat nur der Hund getrunken, und er war auch nicht an der Flasche.“
Fassungslos schaute ich ihn an, als wäre er nicht ganz bei Trost. Was ich denn jetzt trinken solle, fragte ich ihn entgeistert. Man könne doch sehen, dass hier Leute Sport machen, und man könne sich doch nicht einfach eine fremde, volle Trinkflasche schnappen und sie dem Hund hinschütten. Stocksauer schnappte ich mir die Flasche und stapfte mit einem Affenzahn an den beiden vorbei nach oben. Dankend lehnte ich den halbherzigen Versuch der Wiedergutmachung ab, als der Typ seine Börse zückte, um mir den „Schaden“ zu ersetzen. Von seinem Geld konnte ich mir auf der Spitzhaustreppe buchstäblich nichts kaufen.
Ein denkwürdiger Tag. Was lernt man daraus? Ein jeder ist seines eigenen Durstes Schmied. Flasche nicht mehr stehen lassen, Handy nicht mehr liegen lassen. Spart Kräfte und Nerven.
Drei Stunden Hass – Dresden am 13. Februar
Großteils friedlich, so titelte die Dresdner Medienlandschaft fast einhellig, sei der diesjährige 13. Februar zu Ende gegangen. Ein saftiger Euphemismus, sage ich als Medienvertreterin, die direkt mittendrin war. Drei Stunden lang war ich zwischen Hauptbahnhof, Lennéplatz und Parkstraße unterwegs, jenem Quadranten, in dem sich die Konfrontation zwischen aufmarschierenden Nazis und protestierenden Antifaschisten hauptsächlich abspielte.
Zwei Stunden davon stand ich mit vielen anderen Pressevertretern in der Pufferzone, die die Polizei mittels menschlicher Absperrungen zwischen eine Gruppe von etwa 270 Nazis und von drei Seiten angreifenden Blockierern gehauen hatte. Von hier aus hat man alles gut im Blick, wird aber gelegentlich auch zur Zielscheibe von Schneeball- und Flaschenwürfen. Auf der anderen Seite des gestoppten Nazimarsches eine weitere, noch größere Wand aus Blockierern. Die Nazis standen mittendrin und mussten sich zähneknirschend Schneeballattacken gefallen lassen, die von allen Seiten geflogen kamen. Ihre Kundgebung samt Fackel-Show und zynischen Tiraden Udo Pastörs hielten sie trotzdem ab – beschützt von Polizeibeamten, die diesen Belagerungszustand über Stunden nicht aufzulösen in der Lage waren. Zum Dank mussten sich die Beamten Hohn von Nazis und Blockierern gleichermaßen gefallen lassen. Obgleich das Recht auf ihrer Seite stehe, sorge die Polizei nicht dafür, dieses Recht durchzusetzen, ätzte Pastörs über sein Megafon. Und der Witz an der ganzen Sache: Er hatte damit noch nicht mal Unrecht. Derweil schlugen „Antifaschisten“ im Schutz der Dunkelheit mit Zaunlatten auf Polizeibeamte in Zivil ein und verletzten sie dabei schwer.
Wenn man so mitten unter den Demonstranten steht, beschleicht einen zusehends das Gefühl, dass es gar nicht darum geht, etwas gegen Rechts zu tun, zumindest vielen geht es nicht darum. Die Stimmung im Lager der Blockierer ist viel zu aufgekratzt, ja regelrecht ausgelassen. „Nazis aufs Maul hauen“, „Nazis erschießen“, die Hassgesänge werden immer expliziter. Neben den Skandeuren stehen feixende Mädels mit Rastas und unschuldiger Stupsnase, die man eigentlich eher an der nächsten Veggie-Bude oder beim Kampfhäkeln vermutet hätte. Die Stimmung ist zu ausgelassen, um der behaupteten Ernsthaftigkeit des Anlasses gerecht zu werden. Und sie ist bisweilen klar aggressiv. Böller krachen, Gesänge werden angestimmt, die an Choreos in Fußballstadien erinnern: „Ihr könnt nach Haaaause fahrn, ihr könnt nach Haaause fahrn…“ tönt es am Hauptbahnhof aus vielen Kehlen in einem so perfekten Kanon, als hätte man einige Routine darin. Kein Zweifel, wer da „demonstriert“. Die gleichen Typen in schwarzen Kapu-Sweats und Picaldi-Hosen kennt man auch von früheren eskalierten BRNs, die Gesänge auch.
Ich klettere auf ein Geländer, um weithin über die tobende Menge fotografieren zu können. Als ich wieder runtersteige, bauen sich plötzlich vor mir fünf junge Männer auf, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. Sie umringen mich und schnauzen mich rüde an. Was ich mir erlaube, hier den Leuten ins Gesicht zu fotografieren. Eine Demo sei das hier, und ob ich die Demonstranten an die Bullen verraten wolle. Ich schaue in die aggressiven Gesichter, die feindseligen Augen. Meinen Job sollen sie mich hier machen lassen, ich sei von der Presse, antworte ich ihnen. Doch mit Pressefreiheit kann man die Meute wenig beeindrucken. Die Stimmung lädt sich weiter auf. Angriffslustig umschleicht und beschimpft man mich. Ich versuche zu entkommen, aber man lässt mich nicht. Einer greift nach meiner Kamera, will sie mir vom Hals zerren. „Zeig doch deinen Presseausweis, wenn du einen hast“, grölt mich ein anderer an und kommt mit seinem Gesicht dabei ganz dicht vor meines. Später sagt man mir, dass sie so an meinen Namen kommen wollten.
Ich kann schließlich im Chaos der Menschenmenge doch entrinnen. Um mich herum hatten in diesen drei-vier Minuten Hunderte Leute gestanden. Leute, die jederzeit in eine Kamera sagen würden, dass sie Gewalt bei Blockaden ablehnen. Geholfen hat mir niemand. Und nächstes Jahr werden sie wieder feiernd und singend neben diesen Leuten stehen, überzeugt davon, sich für Demokratie einzusetzen. Keine zehn Meter entfernt standen Polizeibeamte, die – hoffnungslos überfordert – nicht mal hätten einschreiten können, wenn sie diese Szene mitbekommen hätten. Blockieren, das haben mich die drei Stunden gelehrt, ist eine Riesen-Party, ein Happening ohne Gleichen, bei dem sonst gut kontrollierte Triebe und Neigungen kollektiv ausgelebt werden. Hier, in der schützenden, großen Masse, kann man die Sau rauslassen, randalieren, demolieren, toben und auch schon mal überschüssige Energie an vermeintlichen Feinden abarbeiten. Ob das Nazis, Polizisten oder Journalisten sind, ist letztlich egal. Und die Pace dazu gibt coole Mugge vor, die aus Lautis dudelt.