Nicolaus Fest will gemeinsam mit der AfD den Totalitarismus bekämpfen – und sieht sich dabei in der Tradition seiner Vorfahren. Warum das ein Zynismus ohnegleichen ist.
Manchmal fällt der Apfel weit vom Stamm. Im Falle von Nicolaus Fest weiter als seinem Vater, dem renommierten Hitler-Analysten Joachim Fest, eigentlich hätte lieb sein dürfen. Als Erster leuchtete der Vater 1973 mit „Hitler“ die ideologischen Bahnen aus, in denen der Nationalsozialismus einst lief, zeigte, welche Überzeugungen hinter der kaltblütigen Rassen- und Lebensraumtheorie des GröFaZ standen und wie sie sich in der Realpolitik niederschlugen. Er schuf damit ein Grundlagenwerk zur NS-Forschung, das bis heute Bestand hat. Die Folgen erfuhren er, vor allem aber sein Vater Johannes Fest, noch am eigenen Leibe. Als überzeugter Demokrat und Katholik (er war Mitglied der Zentrums-Partei) lehnte der Lehrer und Rektor Johannes Fest den NS-Staat ab, weigerte sich, in die NSDAP einzutreten. Dafür ertrug er aufrecht sogar das Berufsverbot, das die Nazis gegen ihn verhängten. Sohn Joachim flog als 14-Jähriger von der Schule – weil er es gewagt hatte, den Führer unvorteilhaft zu karikieren.

Er fühle sich dem „antitotalitären Erbe seines Großvaters verpflichtet“, konstatierte nun der Sohn und Enkel, Nicolaus Fest, vor wenigen Tagen auf einer Pressekonferenz in Berlin. Doch wer nun glaubt, Fest Junior meine damit, sich im Sinne seiner Altvorderen künftig noch stärker gegen totalitäre Bestrebungen engagieren zu wollen – beispielsweise die Aufweichung von Grundrechten, wie sie etwa die AfD oder ihr nahe stehende Massenbewegungen wie Pegida seit einiger Zeit propagieren – der irrt. Im Gegenteil. Anlass des Berliner Termins war eine Bekanntgabe in eigener Sache: Nicolaus Fest tritt der AfD bei. Also jener Partei, die erstmals seit der NSDAP in ihrem Grundsatzprogramm einer religiösen Gruppe die Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft abspricht und sie qua Gesetz gegenüber anderen Konfessionen benachteiligen will. (Koranschulen schließen, keine staatliche Finanzierung islamischer Organisationen usw.) Die eine „deutsche Leitkultur“ fordert, die – wie einst die NSDAP – die „Macht der Parteien“ und damit den Parlamentarismus als DAS politische Kontrollorgan gegenüber den Herrschenden schlechthin schwächen will. Die durch nationalsozialistische Propaganda bis zum Erbrechen vergewaltigte Begriffe wie den des „Volkstums“, des „Völkischen“ restaurieren und gesellschaftlich wieder salonfähig machen will, wie unlängst in einem Vorstoß die Bundesvorsitzende Frauke Petry forderte. Die zudem mehr damit beschäftigt ist, sich von ungeratenen Mitgliedern zu distanzieren als damit, aktiv Politik zu machen, wie jüngst der Fall des Berliner Abgeordneten Kay Nerstheimer zeigte, der auf eigenen medialen Kanälen Flüchtlinge als „einfach widerliches Gewürm“ tituliert hatte. In Berlin-Lichtenberg hatte Nerstheimer ungeachtet dieser Auswüchse – oder vielleicht doch gerade deshalb – noch ein Direktmandat gewonnen, nun berät die AfD pflichtbewusst über seinen Parteiausschluss. Doch die bittere Realität sieht so aus: Die Partei, der Nicolaus Fest beigetreten ist, lebt vom Hass, vom notorischen Dagegensein, von der Sehnsucht nach dem Feindbild und dem starken Führer. Und sei es, dass man finsterste Chauvinismen aus der untersten Schublade deutscher Geschichte hervorkramt, um diese diffusen Sehnsüchte zu bedienen.
Was den studierten Rechtswissenschaftler und Journalisten (!) Fest bewogen hat, in eine rechte, antidemokratische Partei einzutreten, die unsere offene, freiheitliche Gesellschaft einem exklusiven, bisweilen sogar völkischen Vaterlandsgedanken zu opfern gedenkt und sich öffentlich gegen die freien Medien und damit eine pluralistische Meinungsbildung richtet, ist eine Frage, deren Antwort man vermutlich irgendwo in Fests Biografie suchen muss. Welcher Narr ihn jedoch geritten haben mag, die Ziele und Werte dieser Partei allen Ernstes in eine Linie mit den antitotalitären, freiheitlichen und rechtsstaatlichen Überzeugungen seines Großvaters zu stellen – das wird man wohl niemals erfahren.
Spekuliert werden darf aber durchaus. Sein Vater Joachim Fest schrieb einst über die glückliche Kindheit, die er trotz Repressalien durch die Nazis verleben durfte. Entweder war Nicolaus Fest eine solche bedauernswerterweise nicht vergönnt, was ja im Erwachsenenalter durchaus zu gewissen Defiziten führen soll. Vielleicht aber zog der Sohn aber auch einfach nur fatale Schlüsse aus der begründeten Abneigung seiner Altvorderen gegenüber der antisemitischen Vernichtungspolitik der Nazis? Das Bild vom Islam als natürlichem Feind des Judentums, der sein Abbild immer wieder in totalitären Regimen findet und der nun scheinbar seine feinselige Ideologie in unsere offene Gesellschaft tragen will? Immer wieder finden sich in seinem Internetblog derartige Anspielungen. Merkt er denn aber nicht, will man Fest fast schon beschwörend zurufen, dass er sich derselben vereinfachenden, dämonisierenden Logik bedient, derer sich einst die Nazis bedienten, um eine unliebsame und dazu noch unverschämt erfolgreiche Bevölkerungsgruppe zu stigmatisieren? Nun sind die Muslime in unserem Land alles andere als überdurchschnittlich erfolgreich, möchte man meinen. Zumindest, was ihren gesellschaftlichen und sozialen Status betrifft, ist das sicher richtig. Allerdings sind sie an einer Stelle sehr viel erfolgreicher als die Mehrheitsbevölkerung, die manchem ausgesprochen entscheidend erscheint: und zwar in demografischer Hinsicht. Ein Punkt, der wiederum als entscheidender Motor für Überfremdungtheorien der Art fungiert, wie man sie etwa in Pegida oder in der Neuen Rechten versammelt findet.
Eine weitere Möglichkeit: Der Rechtswissenschaftler und Publizist, der früher für Gruner+Jahr (u.a. Sächsische Zeitung) und die BILD am Sonntag tätig war, hat die Zeichen der Zeit erkannt. Die aktuelle Flüchtlingskrise bietet nicht nur erheblichen gesellschaftlichen Sprengstoff, sondern auch ein erhebliches Macht- und Einflusspotenzial sowie ungeahnte Karrierechancen. Und die AfD steht symbolisch genau dafür. Auf der neuen Welle der vermeintlichen „Political Incorrectness“, die häufig nicht mehr ist als ein im Deckmantel eines „das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-Dürfens“ daherkommender verkappter Neofaschismus, schwimmt so mancher hoch hinaus. Aus vorbestraften Rechtsextremen werden plötzlich staatlich finanzierte Politiker, aus verkrachten Existenzen Büroleiter von neuen Abgeordneten. Vielleicht wittert hier auch Nicolaus Fest einfach nur seine große Chance, aus dem übermächtigen Schatten des erfolgreichen Vaters herauszutreten, wo in beruflicher Hinsicht der Weg bislang eher steinig war und von persönlichen Niederlagen gepflastert. Mit einem solchen Motiv wäre er in der AfD alles andere als allein.
Fakt ist: Fest war schon immer streitbar. Das allein mag im Einzelfall ja sogar ein ausgesprochen löblicher Wesenszug sein. Nicht aber bei Fest. Sowohl von Gruner + Jahr als auch vom Springer-Konzern trennte er sich im Unfrieden. Zuletzt 2014, als es nach einer islamfeindlichen Kolumne in der BILD am Sonntag zum Eklat mit Chefredakteur Kai Diekmann kam. Der Islam – für Fest ein „Integrationshindernis“. Diekmann distanzierte sich umgehend, ebenso der Deutsche Presserat. Fest warf kurz darauf die Brocken hin und kehrte den „Mainstream-Medien“ gekränkt den Rücken. Eine Zeitung, die im Lichte der aufkommenden Spannungen im Zuge der Flüchtlingskrise Kommentaren die Anerkennung verwehrt (sie nichtsdestotrotz aber gedruckt hat), die aufgrund ihrer pauschalen Herabsetzung einer ganzen religiösen Gruppe umso mehr zur Störung des öffentlichen Friedens geeignet sind – das ist nicht vereinbar mit Fests Vorstellung einer exklusiven deutschen Medienwelt, in der das Recht auf freie Meinungsäußerung alle anderen Grundrechte überwiegt – allerdings nur, solange sie die „Richtigen“ trifft und eigene Standpunkte bedient. Ein weit verbreitetes Muster im postfaktischen Zeitalter, in dem wir längst angekommen sind.
Nach seinem Zerwürfnis mit der seriösen Presse scheint sich der Eigenbrötler vollends in ideologische Schattenwelten verrannt zu haben. Sein Blog – ein einziges Plädoyer für sich selbst, seine Überzeugungen, seinen Islamhass. Wie schon die Nationalsozialisten den Juden spricht Fest dem Islam das Recht ab, sich Religion nennen zu dürfen. Der Kampf gegen die vermeintliche „totalitäre Ideologie“ – er scheint sein Lebensthema geworden zu sein. In vielen Punkten geht er darin sogar noch viel weiter als die AfD, will Moscheen verbieten und bestehende zwar nicht gleich abfackeln, wohl aber schließen. Die Förderung von Integration muslimischer Migranten in unsere Mehrheitsgesellschaft – in diesem Fall am Beispiel von Schwimmunterricht für muslimische Kinder in Hamburg – nennt Fest „rassistische Bevorzugung von Migranten gegenüber Deutschen“. Doch eine Lösung für die Integrationsprobleme unseres Landes hat Fest – ebenso wie die AfD – nicht. Denn selbst ein sofortiger Einwanderungsstopp für Muslime stellte keine Antwort auf die Frage dar, wie wir mit den bereits hier lebenden umgehen wollen. Im Gegenteil.
In seinem Blog moniert Fest „endlose, ermüdende Debatten um Integrationskurse, Familiennachzug, Burkas und Burkini“ seitens der Großen Koalition – dabei sind es gerade jene Debatten, die hauptsächlich aufgrund des Konfrontationskurses seiner Partei, der AfD, überhaupt geführt werden müssen. „Wird eigentlich noch Politik gemacht?“, fragt Fest dort lakonisch. Die politischen Theorien und Postulate seiner Partei in politisches Handeln übersetzt möchten vermutlich die wenigsten in unserem Land kennenlernen. Manch frustrierter Wutbürger weiß das nur noch nicht.
Nicolaus Fest könnte mit diesem Kurs weiter von den Werten, die sein Großvater verteidigte, nicht entfernt sein. Die Unterschiede liegen auf der Hand: Johannes Fest opferte seine eigenen Privilegien, um seinen Protest gegen die systematische Erniedrigung des freien Geistes und der demokratischen Opposition durch die Nazis auszudrücken. Nicolaus Fest will ausgerechnet diesen Geist und abermals eine unliebsame Bevölkerungsgruppe opfern, um selbst voranzukommen. Er tut dies, indem er den Islam völlig weltentrückt als „Untergang Europas“ bezeichnet und mit dem Nationalsozialismus gleichsetzt – obwohl er es als Teil der gesellschaftlichen Intelligenz, Enkel seines Großvaters und Sohn seines Vaters sicher besser wissen müsste. Damit wird zeigt er, dass auch Intelligenz nicht vor politischen und moralischen Abwegen schützt. Was ihn mit dem Durchschnittsarbeiter im unteren Lohnsegment verbindet, der vorrangig bei Pegida mitläuft und die AfD wählt, das mag vielleicht ein diffuses Gefühl sein, selbst Opfer geworden zu sein. Das unverstandene Genie. Der Sohn, der – trotz aller guten Voraussetzungen – aus dem Schatten des großen Vaters und erfolgreichen Bruders nie herauszutreten vermochte.